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Die Tote in der Bibliotek

Die Tote in der Bibliotek

Titel: Die Tote in der Bibliotek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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den Jungen nachdenklich an.
    «Haben sie – äh – haben sie das gesagt?», fragte er.
    «Nicht direkt. Onkel Mark hat gesagt: ‹Immerhin eine Lösung›, und Mum hat gesagt: ‹Ja, aber eine grauenvolle›, und Onkel Mark hat gesagt, sie soll nicht so scheinheilig tun.»
    Die beiden Männer wechselten einen Blick. Im selben Moment trat ein distinguiert wirkender, glatt rasierter, korrekt in blauen Serge gekleideter Mann zu ihnen.
    «Entschuldigen Sie, meine Herren. Ich bin Mr. Jeffersons Kammerdiener. Er ist aufgewacht und lässt Sie bitten – er möchte Sie dringend sprechen.»
    Zum zweiten Mal stiegen sie zu Conway Jeffersons Suite hinauf. Im Salon unterhielt sich Adelaide Jefferson mit einem hoch gewachsenen, nervös wirkenden Mann, der rastlos auf und ab ging. Als sie eintraten, fuhr er herum.
    «Ach, gut, dass Sie kommen. Mein Schwiegervater hat schon nach Ihnen gefragt. Er ist jetzt wach. Versuchen Sie ihn möglichst nicht zu beunruhigen, ja? Sein Gesundheitszustand ist nicht der beste. Ein wahres Wunder, dass der Schock ihn nicht umgeworfen hat.»
    «Ich wusste gar nicht, dass er in so schlechter Verfassung ist.»
    «Er weiß es selbst nicht», sagte Mark Gaskell. «Das Herz, verstehen Sie? Keine größeren Aufregungen, hat der Arzt zu Addie gesagt. Er hat ihr mehr oder weniger deutlich zu verstehen gegeben, dass es jederzeit zu Ende gehen kann, nicht wahr, Addie?»
    Mrs. Jefferson nickte. «Erstaunlich, wie er sich wieder erholt hat», sagte sie.
    «Mord ist natürlich nicht gerade ein Beruhigungsmittel», sagte Colonel Melchett trocken, «aber wir werden so behutsam wie möglich vorgehen.»
    Während er sprach, taxierte er Mark Gaskell. Der Bursche gefiel ihm nicht. Ein anmaßendes, skrupellos wirkendes Raubvogelgesicht. Einer jener Männer, die es gewohnt sind, ihren Willen durchzusetzen, und oft von Frauen bewundert werden.
    Dem würde ich nicht über den Weg trauen, dachte der Colonel bei sich. Skrupellos – das war das richtige Wort. Einer, der vor nichts zurückschreckte.
     

III
     
    In dem großen Schlafzimmer, das aufs Meer hinausging, saß Conway Jefferson in seinem Rollstuhl am Fenster.
    Sobald man sich mit ihm in einem Raum befand, spürte man die Kraft und Ausstrahlung dieses Mannes. Es war, als hätten die Verletzungen, die ihn zum Krüppel gemacht hatten, alle Energie seines zerstörten Körpers gebündelt und gesteigert.
    Er hatte einen schönen Kopf mit leicht angegrautem rotem Haar. Die Augen in dem markant zerfurchten, tief gebräunten Gesicht waren geradezu bestürzend blau. Nichts an Mr. Jefferson verriet Krankheit oder Trübsinn. Die tiefen Linien in seinem Gesicht waren Linien des Leidens, nicht der Schwäche. Er war ein Mann, der niemals mit dem Schicksal haderte, sondern es annahm und neuen Ufern zustrebte.
    «Ich bin froh, dass sie gekommen sind», sagte er. Er musterte sie mit einem raschen Blick und wandte sich an Melchett: «Sie sind der Chief Constable von Radfordshire? Ah, ja. Und Sie müssen Superintendent Harper sein. Setzen Sie sich doch. Zigaretten finden Sie auf dem Tisch neben Ihnen.»
    Sie bedankten sich und nahmen Platz. Melchett sagte: «Wie ich höre, haben Sie sich für die Tote interessiert, Mr. Jefferson?»
    Ein gequältes Lächeln huschte über das zerfurchte Gesicht.
    «Ja, das haben Ihnen wohl alle gleich erzählt! Nun, es ist auch kein Geheimnis. Was hat Ihnen denn meine Familie gesagt?» Sein Blick wanderte rasch zwischen den beiden Männern hin und her.
    Die Antwort gab Colonel Melchett: «Nicht viel. Mrs. Jefferson hat nur erwähnt, dass Sie das Geplauder des Mädchens amüsant fanden und dass sie eine Art Schützling von Ihnen war. Mit Mark Gaskell haben wir nur ein paar Worte gewechselt.»
    Conway Jefferson lächelte.
    «Addie ist immer so diskret, die Gute! Mark hätte sich da weniger Zwang angetan. Am besten, Melchett, ich berichte etwas ausführlicher, damit Sie meine Haltung verstehen. Anfangen muss ich dazu bei der großen Tragödie meines Lebens. Vor acht Jahren habe ich bei einem Flugzeugabsturz meine Frau, meinen Sohn und meine Tochter verloren. Seitdem bin ich nur noch ein Schatten meiner selbst – ich spreche nicht von meinem körperlichen Zustand. Ich war ein ausgesprochener Familienmensch. Meine Schwiegertochter und mein Schwiegersohn haben sich rührend um mich gekümmert und alles getan, um mir mein eigen Fleisch und Blut zu ersetzen. Aber mir ist klar geworden – besonders in letzter Zeit –, dass sie ihr eigenes Leben führen

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