Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote in der Bibliotek

Die Tote in der Bibliotek

Titel: Die Tote in der Bibliotek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
hatte ich Sir Henry nach abgeschnittenen Fingernägeln gefragt, und er wollte der Sache nachgehen.»
    «Sie sprachen eben von einem der Dinge, die nicht in Ordnung waren, als Sie sich die Leiche angesehen haben. Gab es da noch etwas?», fragte Sir Henry.
    Miss Marple nickte entschieden. «O ja! Das Kleid. Das Kleid war noch viel weniger in Ordnung.»
    Die beiden Männer sahen sie neugierig an.
    «Inwiefern?», fragte Sir Henry.
    «Ja, wissen Sie, es war ein altes Kleid. Josie hat das eindeutig bestätigt, und ich habe auch selbst gesehen, dass es schon ziemlich abgetragen war. Und das ist ja nun alles andere als in Ordnung.»
    «Und warum?»
    Miss Marple errötete leicht. «Nun, wir gehen doch davon aus», erklärte sie, «dass Ruby Keene sich umgezogen hat, um sich mit jemandem zu treffen, in den sie vermutlich ‹verknallt› war, wie meine jungen Neffen es ausdrücken würden.»
    Der Superintendent blinzelte ein wenig. «Zumindest vermuten wir das. Sie war verabredet – mit einem, nun ja, einem Bekannten.»
    «Wieso hat sie dann ein altes Kleid angezogen?», fragte Miss Marple.
    Der Superintendent kratzte sich gedankenvoll den Kopf. «Ich verstehe. Sie meinen, eigentlich hätte sie ein neues Kleid tragen müssen.»
    «Ihr bestes. Mädchen machen das so.»
    «Ja, aber sehen Sie mal, Miss Marple», wandte Sir Henry ein, «angenommen, dieses Rendezvous fand im Freien statt und die beiden sind in einem offenen Wagen gefahren oder in unwegsamem Gelände spazieren gegangen. Da hat sie, um nicht ein neues Kleid zu ruinieren, ein altes angezogen.»
    «Das wäre nur vernünftig gewesen», pflichtete der Superintendent bei.
    Miss Marple wandte sich ihm zu. «Vernünftig wäre es gewesen», sagte sie lebhaft, «lange Hosen und einen Pullover anzuziehen oder Tweedsachen. Ich will ja nicht snobistisch sein, aber ich fürchte, es lässt sich nicht vermeiden: So hätte es ein Mädchen aus – aus unseren Kreisen gemacht. Ein Mädchen aus gutem Hause» – Miss Marple begann sich zu ereifern – «achtet stets darauf, bei jedem Anlass das Richtige zu tragen. Ein Mädchen aus gutem Hause würde zum Beispiel nie im geblümten Seidenkleid zu einem Geländejagdrennen erscheinen, und wenn es noch so heiß ist.»
    «Und die korrekte Kleidung für ein Rendezvous?», fragte Sir Henry.
    «Wenn sie sich im Hotel mit ihm trifft oder an einem anderen Ort, wo man Abendkleidung trägt, wird sie natürlich ihr bestes Abendkleid anziehen. Aber im Freien sähe sie darin lächerlich aus, das weiß sie, und deshalb würde sie dort ihre schickste Sportkleidung tragen.»
    «Zugegeben. Da spricht die Modeexpertin. Aber in Rubys Fall…»
    «Nun, Ruby war, um es rundheraus zu sagen, keine Dame. Sie stammte aus einem Milieu, in dem man auch zu den unpassendsten Anlässen die besten Sachen trägt. Letztes Jahr hatten wir einen Picknickausflug zu den Scrantor Rocks. Sie hätten gestaunt, wie unmöglich die Mädchen angezogen waren. Foulardkleider, Lackschuhe, kunstvolle Hüte – manche jedenfalls. Um auf Felsen und in Stechginster und Heidekraut herumzuklettern! Und die jungen Männer in ihren besten Anzügen. Beim Wandern ist es natürlich etwas anderes. Was man da trägt, ist schon fast eine Uniform – wobei sich die Mädchen nicht klarmachen, dass Shorts nur etwas für sehr Schlanke sind.»
    «Und Sie meinen, dass Ruby Keene…?», fragte der Superintendent bedächtig.
    «Ich meine, sie hätte ihr Kleid, ihr bestes rosa Kleid, anbehalten. Sie hätte sich nur dann umgezogen, wenn sie etwas noch Neueres gehabt hätte.»
    «Und wie erklären Sie sich das alles, Miss Marple?», wollte Superintendent Harper wissen.
    «Gar nicht – jedenfalls noch nicht. Aber ich kann mir nicht helfen: Ich habe das Gefühl, dass es wichtig ist…»
     

III
     
    Die Tennisstunde, die Raymond Starr gegeben hatte, war zu Ende. Eine korpulente Frau mittleren Alters stieß einige Dankesquiekser aus, nahm eine himmelblaue Strickjacke an sich und entschwand Richtung Hotel.
    Raymond rief ihr ein paar fröhliche Worte nach und wandte sich dann der Bank zu, auf der die drei Zuschauer saßen. Die Bälle baumelten in einem Netz, das er in der Hand hielt, den Schläger hatte er sich unter den Arm geklemmt. Die Heiterkeit auf seinem Gesicht war plötzlich wie weggeblasen. Er wirkte müde und besorgt.
    «Geschafft!», sagte er im Näherkommen.
    Dann brach das Lächeln wieder hervor, dieses charmante, jungenhafte, ausdrucksvolle Lächeln, das so gut zu seinem sonnengebräunten Gesicht,

Weitere Kostenlose Bücher