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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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stimmt nicht, Sie bekommen nur zwanzig Dollar.«
    »Wahnsinn.« Marino konnte es nicht lassen. »Brauchst du einen Kredit?«
    Wir sahen das Video und wurden über unsere unerläßliche Bürgerpflicht und die damit verbundenen Privilegien in Kenntnis gesetzt. Sheriff Brown bedankte sich, daß wir diesen wichtigen Dienst leisteten. Er erinnerte uns daran, daß wir über das Schicksal einer anderen Person zu entscheiden hatten, und führte uns den Computer vor, mit dessen Hilfe er uns auserwählt hatte.
    »Ihre Namen wurden anschließend aus einer Urne gezogen«, sagte er lächelnd. »Unser Rechtssystem beruht auf einer gewissenhaften Prüfung der Beweise. Unser Rechtssystem hängt von uns ab.«
    Er erinnerte uns daran, daß eine Tasse Kaffee fünfundzwanzig Cent kostete und kein Geld gewechselt wurde.
    Nach dem Video kam die Gerichtsangestellte, eine hübsche schwarze Frau, zu mir.
    »Sind Sie von der Polizei?« fragte sie mich flüsternd.
    »Nein.« Ich erklärte ihr, wer ich war, während sie Marino und die beiden anderen Polizisten musterte.
    »Tut mir leid, aber Sie können wieder gehen«, flüsterte sie. »Sie hätten gar nicht erst kommen sollen. Sie hätten uns anrufen und die Sache erklären sollen. Ich weiß überhaupt nicht, warum Sie hier sind.«
    Die anderen Geschworenen starrten uns an. Sie starrten uns an, seitdem wir den Raum betreten hatten, und der Grund wurde mir jetzt klar. Sie hatten keine Ahnung, wie das Justizsystem funktionierte. Jetzt standen nicht nur drei Polizisten um mich herum, sondern auch noch die Frau vom Gericht. Ich mußte die Angeklagte sein. Wahrscheinlich wußten sie nicht, daß Angeklagte nicht im selben Raum wie die Geschworenen in Zeitschriften blätterten.
    Gegen Mittag waren die Formalitäten erledigt, und wir verließen das Gerichtsgebäude. Ich fragte mich, ob ich wohl je wieder zur Geschworenen berufen werden würde. Marino setzte mich vor meinem Büro ab, und ich ging hinein. Ich rief Dr. Horowitz in New York an.
    »Sie wurde gestern begraben«, sagte er von Jane.
    Das tat mir unendlich leid. »Ich dachte, Sie würden normalerweise etwas länger warten«, sagte ich.
    »Zehn Tage. Und es waren ungefähr zehn Tage, Kay. Sie wissen, wie wenig Platz wir hier haben.«
    »Wir können sie mit einer DNS-Analyse identifizieren.«
    »Warum nicht mit den Röntgenaufnahmen von ihren Zähnen?«
    Ich erklärte es ihm, »Das ist eine Schande.« Dr. Horowitz hielt inne und sprach nur widerstrebend weiter. »Es tut mir furchtbar leid, aber wir haben hier wie üblich ein großes Tohuwabohu. Ehrlich gesagt, ich wünschte, wir hätten sie nicht beerdigt, aber wir haben es.«
    »Was ist passiert?«
    »Das weiß keiner so genau. Wir haben natürlich eine Blutprobe für eine DNS-Analyse entnommen. Und selbstverständlich auch Gewebeproben aller wichtigen Organe. Die Blutprobe ist nicht mehr auffindbar, und die Gewebeproben sind versehentlich weggeworfen worden.«
    »Das kann nicht sein.«
    Dr. Horowitz schwieg.
    »Was ist mit den Gewebeproben in hartem Paraffin für die Histologie?« fragte ich, denn auch damit konnte zur Not eine DNS-Analyse durchgeführt werden.
    »Solche Proben legen wir nicht an, wenn die Todesursache klar ist«, sagte er.
    Ich wußte nicht, was ich darauf erwidern sollte. Entweder herrschte in Dr. Horowitz' Leichenschauhaus ein maßloses Chaos, oder diese Versehen waren keine Versehen. Ich hatte ihn immer für einen überaus gewissenhaften Mann gehalten. Vielleicht hatte ich mich getäuscht. Ich wußte, wie es in New York zuging. Politiker machten selbst vor dem Leichenschauhaus nicht halt.
    »Dann muß sie wieder ausgegraben werden«, sagte ich. »Ich sehe keine andere Möglichkeit. Wurde sie einbalsamiert?«
    »Leichen, die für Hart Island bestimmt sind, werden für gewöhnlich nicht einbalsamiert«, sagte er und meinte die Insel im East River, auf der sich Potter's Field befand. »Wir müssen die Nummer heraussuchen, mit der wir sie identifizieren können, und dann wird sie wieder ausgegraben und mit der Fähre zurückgebracht. Mehr können wir nicht tun. Es kann ein paar Tage dauern.«
    »Dr. Horowitz?« sagte ich vorsichtig. »Was geht bei Ihnen vor?«
    Seine Stimme klang fest, aber enttäuscht, als er sagte. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
    Ich saß eine Weile an meinem Schreibtisch und überlegte, was ich tun sollte. Je länger ich nachdachte, um so weniger Sinn ergab das alles. Warum sollte die Armee nicht wollen, daß Jane identifiziert wurde? Wenn sie

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