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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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nicht länger aus und kramte in meiner Aktentasche nach den Erdnüssen aus dem Flugzeug. Das Eichhörnchen stand wieder auf den Hinterbeinen und kaute wie wild, als ich im Schatten der Bäume zur Straße zurücksetzte.
    Ich fuhr Richtung Westen durch eine Schilf- und Binsenlandschaft. In Teichen wuchsen Lotos und Wasserlilien, und an beina he jeder Ecke lauerten Habichte. Die Menschen schienen, abgesehen davon, daß sie Land besaßen, arm zu sein. An schmalen Straßen standen kleine weiße Kirchen und Wohnwagen, die noch weihnachtlich geschmückt waren. In der Nähe von Beaufort sah ich Autowerkstätten und kleine Motels auf trostlosen Grundstücken und einen Friseurladen, über dem die Flagge der Konföderierten wehte. Ich hielt zweimal an, um die Karte zu studieren.
    Auf St. Helena Island überholte ich im Schneckentempo einen Traktor, der am Straßenrand Staub aufwirbelte, und hielt nach einem Ort Ausschau, wo ich anhalten und mich erkundigen konnte. Ich kam an alten Gebäuden vorbei, die einst Geschäfte beherbergt hatten. Tomaten wurden am Straßenrand verpackt, und gesäumt waren die Straßen von Eichen, Farmhäusern, Bestattungsunternehmen und Gärten, bewacht von Vogelscheuchen. Erst auf Tripp Island fand ich ein Restaurant zum Lunch und hielt an.
    Das Restaurant hieß Gullah House, und die Frau, die mir einen Platz anwies, war groß und sehr schwarz. Sie trug ein Kleid in tropischen Farben, und wenn sie mit einer Kellnerin sprach, klang es sehr musikalisch. Viele Worte verstand ich nicht. Der Gullah-Dialekt ist eine Mischung aus westindischen Idiomen und elisabethanischem Englisch. Früher war das die Sprache der Sklaven.
    Ich wartete an einem Holztisch auf meinen Eistee und fragte mich, ob mir hier wohl jemand sagen konnte, wo die Gaults lebten.
    »Was kann ich Ihnen sonst noch bringen?« Meine Kellnerin stellte ein riesiges Glas Tee, mit Eiswürfeln und Zitronenscheiben, vor mich hin.
    Ich deutete auf Biddy een de Fiel, weil ich es nicht aussprechen konnte. Sie erklärte mir, es sei gegrillte Hühnerbrust auf Römersalat.
    »Hätten Sie vielleicht vorher gerne Süßkartoffelchips oder fritierte Krabben?« Ihr Blick schweifte durchs Restaurant, während sie sprach.
    »Nein, danke.«
    Entschlossen, ihren Gast nicht mit einer Diätmahlzeit davonkommen zu lassen, deutete sie auf die Rückseite der Speisekarte. »Wir haben heute frische fritierte Shrimps. Die sind so gut, daß Ihnen die Angen übergehen werden.«
    »Na gut, bringen Sie mir eine kleine Portion.«
    »Wollen Sie von beidem was?«
    »Ja, bitte.«
    Der Service blieb so gemächlich, und es war fast eins, als ich meine Rechnung bezahlte. Die Frau in dem farbenfrohen Kleid, die ich für die Geschäftsführerin hielt, war auf dem Parkplatz und unterhielt sich mit einer anderen Schwarzen, die neben einem Kleinbus mit der Aufschrift Guilab Tours stand.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich zu der Geschäftsführerin.
    Ihre Augen funkelten wie Glas, argwöhnisch, aber nicht unfreundlich. »Wollen Sie eine Insel-Tour machen?« fragte sie.
    »Eigentlich nicht. Aber können Sie mir sagen, wo die Live Oaks Plantation ist?«
    »Die liegt auf keiner Route. Nicht mehr.«
    »Man kommt also nicht hin?«
    Die Geschäftsführerin musterte mich mißtrauisch. »Dort sind neue Leute eingezogen. Die mögen nicht, daß die Insel- Tour bei ihnen vorbeigeht, verstehen Sie, was ich meine?«
    »Ich verstehe Sie«, sagte ich. »Aber ich muß dorthin. Und ich will keine Tour machen. Ich will nur wissen, wo die Plantage ist.«
    Mir kam der Gedanke, daß der Dialekt, den ich sprach, nicht gerade der war, den die Geschäftsführerin - der zweifellos auch die Gullah Tours gehörten - am liebsten hörte.
    »Wie wäre es, wenn ich für eine Tour bezahle«, sagte ich, »und Ihre Fahrerin fährt vor mir her?«
    Das schien eine gute Idee. Ich zahlte zwanzig Dollar, und es konnte losgehen. Es war nicht weit, bald verlangsamte der Bus das Tempo, und ein Arm in einem wild gemusterten Blusenärmel deutete auf Tausende von Pekannußbäumen hinter einem ordentlichen weißen Zaun. Das Tor am Ende einer langen unbefestigten Einfahrt stand offen, und in gut 800 Meter Entfernung sah ich weißes Holz und ein Stück Kupferdach. Es gab kein Schild mit dem Namen des Besitzers oder der Plantage.
    Ich bog nach links in die Einfahrt. Manche der alten Bäume waren schon abgeerntet. Ich kam an einem mit Wasserlinsen bedeckten Teich vorbei, an dessen Rand ein Reiher spazierte. Weit und breit war kein Mensch zu

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