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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Subway-System Unterschlupf suchten.
    »Sie ziehen besser diese Sachen an.« Ein Officer mit zorniger, bleicher Miene reichte mir eine reflektierende Weste, eine Gesichtsmaske und Handschuhe.
    Polizisten holten Taschenlampen und weitere Westen aus einem Auto, und mehrere von ihnen stürmten mit weit aufgerissenen, wachsamen Augen und mit Sturmgewehren an mir vorbei die Treppe hinunter. Die Spannung war mit Händen zu greifen. Sie erfüllte die Atmosphäre wie ein dunkles, hämmerndes Herz, und die Stimmen der zahllosen Polizisten, die gekommen waren, um ihrem niedergeschossenen Kollegen zu helfen, vermischten sich mit den Geräuschen schlurfender Schritte und den seltsamen Gesprächsfetzen, die aus den Funkgeräten drangen. Irgendwo heulte eine Sirene.
    Commander Penn drückte mir eine besonders starke Taschenlampe in die Hand, und vier Polizisten in kugelsicheren reflektierenden Westen führten uns hinunter in die Subway-Station. Ein Zug schoß wie ein Strahl aus flüssigem Stahl vorbei, und wir tasteten uns zentimeterweise auf einem schmalen Steg voran in dunkle Katakomben, in denen Crackphiolen, Nadeln, Abfall und Dreck herumlagen. Taschenlampen beleuchteten Obdachlosenlager auf Paletten und Simsen in nächster Nähe der Gleise, und es stank unerträglich nach menschlichen Ausscheidungen.
    Unter den Straßen von Manhattan befinden sich Hunderte Kilometer Tunnel, in denen während der späten achtziger Jahre fünftausend Obdachlose lebten. Jetzt waren es wesentlich weniger, aber immer wieder bezeugten schmutzige Decken, Schuhe, Kleider und andere Habseligkeiten ihre Existenz.
    Verrußte, ausgestopfte Tiere und schmutzige Plastik-Insekten hingen wie Fetische an den Wänden. Die Obdachlosen, viele von ihnen den Beamten namentlich bekannt, waren aus ihrer unterirdischen Welt verschwunden, bis auf Freddie, den man aus einem tiefen Drogenschlaf riß. Er richtete sich unter einer Armeedecke auf und sah sich benommen um.
    »He, Freddie, steh auf.« Eine Taschenlampe schien ihm ins Gesicht.
    Er hob eine bandagierte Hand vor die Augen und blinzelte, während kleine Sonnen den Tunnel erforschten. »Na los, steh auf. Was ist mit deiner Hand passiert?« »Frostbeule«, murmelte er und kam taumelnd auf die Beine.
    »Du solltest besser auf dich aufpassen. Du kannst nicht hierbleiben. Wir müssen dich rausbringen. Willst du in ein Obdachlosenheim?« »Nein, Mann.«
    »Freddie«, der Beamte sprach sehr laut, »weißt du, was hier unten passiert ist? Du kennst doch Officer Davila, oder?«
    »Ich weiß von nichts.« Freddie strauchelte, fing sich wieder und blinzelte ins Licht.
    »Ich weiß, daß du Davila kennst. Ihr nennt ihn Jimbo.«
    »Jaa, Jimbo. Der is' in Ordnung.«
    »Nein, er ist leider nicht in Ordnung, Freddie. Er ist heute abend hier unten erschossen worden.«
    Freddie riß die gelben Augen auf. »Oh, nein, Mann.« Er blickte sich gehetzt um, als ob der Mörder zuschaute - als ob man ihm die Schuld geben wollte.
    »Freddie, hast du heute abend hier unten jemand gesehen, den du nicht kennst? Hast du jemand gesehen, der das getan haben könnte?«
    »Nee, hab nix gesehen.« Freddie verlor beinahe das Gleichgewicht. »Nix und niemand, ich schwör's.«
    Ein Zug tauchte aus der Dunkelheit auf und raste Richtung Süden. Freddie wurde weggeführt, und wir gingen weiter, vermieden es, auf die Gleise und die Nagetiere unter den Abfallhaufen zu treten. Gott sei Dank hatte ich Stiefel an. Wir gingen zehn Minuten weiter, ich schwitzte unter der Gesichtsmaske und verlor zunehmend die Orientierung. Ich konnte nicht unterscheiden, ob die runden hellen Lichter weit vor uns auf den Gleisen von einem auf uns zufahrenden Zug stammten oder von Taschenlampen.
    »Okay, wir müssen jetzt über die dritte Schiene steigen, die den Strom führt«, sagte Commander Penn. Sie war in meiner Nähe geblieben.
    »Müssen wir noch sehr weit?« fragte ich.
    »Bis dort vorn, wo die Lichter sind. Wir werden jetzt über die Schiene steigen. Gehen Sie seitwärts, langsam, einen Fuß nach dem anderen, und nicht die Schiene berühren.«
    »Außer Sie wollen den Schock Ihres Lebens«, sagte ein Polizist.
    »Ja, sechshundert Volt, die Sie nicht mehr loslassen«, sagte ein anderer in dem gleichen harten Tonfall.
    Wir folgten dem Gleis tiefer in den Tunnel. Die Decke wurde niedriger, und manche Männer mußten den Kopf einziehen, als wir durch einen Bogen kamen. Auf der anderen Seite durchforsteten Männer von der Spurensicherung den Tatort, während ein Arzt mit

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