Die Tote ohne Namen
Gesichtsschild und Handschuhen die Leiche untersuchte. Scheinwerfer waren aufgestellt worden, und Phiolen, Nadeln und Blut schimmerten in ihrem Licht.
Officer Davila lag auf dem Rücken, der Reißverschluß seiner Winterjacke war offen, darunter trug er eine steife kugelsichere Weste und darunter einen marineblauen Uniformpullover. Er war mit einem Schuß zwischen die Augen getötet worden, mit einem Revolver.38, der auf seiner Brust lag.
»Wurde er genau so gefunden?« fragte ich und trat näher. »Wir haben ihn genau so gefunden«, sagte ein NYPD-Detective.
»Seine Jacke war offen, und der Revolver lag, wo er jetzt liegt?«
»Ja.« Das Gesicht des Detective war gerötet und schweißbedeckt, und er sah mir nicht in die Augen.
Der Polizeiarzt blickte zu mir auf. Ich konnte das Gesicht hinter dem Plastikschild nicht erkennen. »Wir können Selbstmord nicht ausschließen«, sagte sie.
Ich trat näher heran und leuchtete dem toten Mann mit meiner Taschenlampe ins Gesicht. Seine Augen waren geöffnet, sein Kopf war ein wenig nach rechts gedreht. Das Blut, das sich darunter angesammelt hatte, war hellrot und begann zu gerinnen. Er war klein, hatte einen muskulösen Hals und das schlanke Gesicht von jemandem, der topfit war. Ich richtete die Taschenlampe auf seine bloßen Hände und ging in die Hocke, um sie mir genauer anzusehen. »Ich kann keine Schmauchspuren entdecken«, sagte ich.
»Es bleiben nicht immer Schmauchspuren zurück«, sagte die Ärztin.
»Die Wunde auf seiner Stirn sieht nicht so aus, als hätte direkter Kontakt mit der Mündung bes tanden, und die Kugel scheint etwas schräg eingedrungen zu sein.«
»Wenn er sich selbst erschossen hat, ist zu erwarten, daß die Kugel etwas schräg eindringt«, erwiderte die Ärztin.
»Aber nicht schräg nach unten. Das würde ich nicht erwarten«, sagte ich. »Und wie kommt es, daß der Revolver so ordentlich auf seiner Brust liegt?«
»Einer der Obdachlosen könnte ihn dorthin gelegt haben.«
Ich wurde allmählich ärgerlich. »Aus welchem Grund?«
»Vielleicht hat ihn jemand an sich genommen und es sich dann anders überlegt. Und hat ihm den Revolver auf die Brust gelegt.«
»Wir sollten seine Hände mit Plastik schützen«, sagte ich. »Alles zu seiner Zeit.«
»Er hatte keine Handschuhe an?« Ich blinzelte in den Lichtkegel der Taschenlampen. »Es ist sehr kalt hier unten. «
»Wir haben seine Taschen noch nicht durchsucht, Ma'am«, sagte die Ärztin, die zu der jungen strengen Sorte gehörte, die ich mit sechsstündigen analretentiven Autopsien in Verbindung brachte.
»Wie heißen Sie?« fragte ich.
»Ich bin Dr. Jonas. Und ich muß Sie jetzt bitten, etwas zurückzutreten, Ma'am. Wir versuchen hier, Spuren zu sichern, und am besten wäre es, wenn Sie nichts berühren oder irgendwie durcheinanderbringen würden.« Sie hielt ein Thermometer in die Höhe.
»Dr. Jonas«, sagte Commander Penn, »das ist Dr. Kay Scarpetta, Chief Medical Examiner von Virginia und beratende forensische Pathologin des FBI. Sie weiß sehr wohl, wie man Spuren sichert.«
Dr. Jonas blickte auf, und ich sah, daß sie hinter dem Gesichtsschild überrascht schien. Sie brauchte lange, um das Thermometer abzulesen, das deutete auf Verlegenheit.
Ich ging neben der Leiche in die Hocke und sah mir die linke Seite des Kopfes genauer an.
»Sein linkes Ohr ist aufgerissen«, sagte ich.
»Das ist vermutlich passiert, als er umfiel«, sagte Dr. Jonas.
Ich betrachtete die Umgebung. Wir befanden uns auf einer glatten Betonplattform. Hier gab es keine Gleise, auf die er hätte aufschlagen können. Ich leuchtete mit meiner Lampe über Simse und Wände aus Beton und suchte überall, wo Davila hätte aufschlagen können, nach Blutspuren.
Dann wandte ich mich wieder seinem verletzten Ohr zu und einer rötlich braunen Stelle unterhalb davon. Ich erkannte das Muster eines Schuhprofils, das gewellt war und kleine Löcher aufwies. Unterhalb seines Ohrs fand sich der Abdruck des Absatzrandes. Ich stand auf, Schweiß lief mir übers Gesicht. Alle Augen waren auf mich gerichtet, während ich in den Tunnel starrte, in dem sich Lichter näherten.
»Er wurde gegen den Kopf getreten«, sagte ich.
»Sie können nicht wissen, ob er nicht doch mit dem Kopf aufgeschlagen ist«, sagte Dr. Jonas kleinlaut.
Ich starrte sie an. »Ich weiß es«, versicherte ich ihr.
»Lag er da schon am Boden?« fragte ein Polizeibeamter.
»Seine Verletzungen deuten nicht darauf hin«, antwortete ich.
»Wenn jemand am
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