Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
nicht allein bleiben.
    Während ich noch darüber nachdachte, schlief ich ein und hatte einen beunruhigenden Traum. Aus einem antiken Spiegel grinste mich eine Gestalt in einem langen schwarzen Gewand, mit einem Gesicht wie ein weißer Ballon, dumm an. Jedesmal, wenn ich an dem Spiegel vorbeikam, beobachtete mich die Gestalt mit diesem unverschämten Grinsen. Sie war sowohl tot als auch lebendig und schien keinem Geschlecht anzugehören. Um ein Uhr wachte ich plötzlich auf und horchte in der Dunkelheit nach Geräuschen. Ich ging hinunter und hörte Marino schnarchen.
    Leise rief ich seinen Namen.
    Der Rhythmus seines Schnarchens veränderte sich nicht. »Marino?« flüsterte ich, als ich mich ihm näherte. Er setzte sich auf, suchte nach seiner Waffe. »Um Gottes willen, erschieß mich nicht.«
    »Hm?« Er sah sich um, sein Gesicht blaß im Schein des kleinen Feuers. Ihm wurde klar, wo er war, und er legte die Waffe auf den Tisch. »Schleich dich nie wieder so an.«
    »Ich bin nicht geschlichen.«
    Ich setzte mich neben ihn auf die Couch. Mir ging durch den Kopf, daß ich ein Nachthemd anhatte und er mich noch nie so gesehen hatte, aber es war mir gleichgültig.
    »Stimmt irgendwas nicht?« fragte er.
    Ich lachte wehmütig. »Es stimmt so gut wie alles nicht.«
    Sein Blick begann zu wandern, und ich spürte, wie er mit sich kämpfte. Ich wußte seit langem, daß Marino ein Interesse an mir hatte, das ich nicht erwiderte. Jetzt war die Situation noch komplizierter, denn ich konnte mich nicht hinter Plastikschürzen, grünen Anzügen, Kostümen und Titeln verstecken. Ich trug ein tief ausgeschnittenes, sandfarbenes Nachthemd aus weichem Flanell. Es war nach Mitternacht, und er schlief in meinem Haus.
    »Ich kann nicht schlafen«, sagte ich.
    »Ich habe sehr gut geschlafen.« Er legte sich wieder hin, schob die Hände unter den Kopf und ließ mich nicht aus den Augen.
    »Nächste Woche muß ich als Geschworene antreten.« Er schwieg.
    »Ich habe zudem mehrere andere Termine vor Gericht und muß mich um mein Institut kümmern. Ich kann nicht einfach packen und aus der Stadt verschwinden.«
    »Die Berufung als Geschworene ist kein Problem«, sagte er. »Da kriegen wir dich raus.« »Das will ich nicht.«
    »Du wirst müssen. Kein Anwalt, dem sein Leben lieb ist, will dich als Geschworene haben.«
    Ich schwieg.
    »Du könntest Urlaub nehmen. Die Prozesse werden ohne dich stattfinden. He, vielleicht kannst du ein paar Wochen Ski laufen gehen. Irgendwo im Westen.«
    Je mehr er redete, um so wütender wurde ich.
    »Du wirst einen anderen Namen benutzen müssen«, fuhr er fort. »Und du wirst einen Leibwächter brauchen. Ganz allein kannst du nicht zum Skilaufen gehen.«
    »Hör zu«, fuhr ich ihn an. »Niemand wird mir einen Agenten stellen, weder das FBI noch sonst jemand. Rechte werden erst geschützt, nachdem sie gebrochen wurden. Die meisten Menschen kriegen keinen Agenten oder Polizisten, bis sie vergewaltigt oder umgebracht wurden.«
    »Du kannst jemand anheuern. Er kann dich auch fahren, aber nicht mit deinem Auto.«
    »Ich werde niemanden anheuern, und ich bestehe darauf, mit meinem eigenen Auto zu fahren.«
    Er dachte eine Weile nach und starrte empor zu der gewölbten Decke. »Seit wann hast du ihn?«
    »Noch nicht einmal zwei Monate.«
    »Du hast ihn von McGeorge, oder?« Er meinte den Mercedeshändler der Stadt.
    »Ja.«
    »Ich werde mit ihm sprechen und schauen, ob sie dir nicht etwas, das weniger auffällig ist als dein schwarzes Nazimobil, leihen können.«
    Wütend stand ich von der Couch auf und stellte mich neben den Kamin. »Und was soll ich noch aufgeben?« fragte ich und starrte in die Flammen, die um künstliche Holzscheite züngelten.
    Marino schwieg.
    »Ich werde nicht zulassen, daß er eine zweite Jane aus mir macht. Es ist, als würde er mich vorbereiten, damit er dasselbe mit mir tun kann wie mit ihr. Er versucht, mir wegzunehmen, was ich habe. Sogar meinen Namen. Ich soll unter anderem Namen auftreten. Ich soll weniger auffällig auftreten. Ich soll nirgendwo wohnen und kein Auto mehr fahren und darf den Leuten nicht sagen, wo sie mich finden. Hotels und private Sicherheitsdienste sind sehr teuer.
    Ich werde also alle meine Ersparnisse aufbrauchen. Ich bin der Chief Medical Examiner von Virginia und gehe kaum mehr zur Arbeit. Der Gouverneur wird mich entlassen. Nach und nach werde ich alles verlieren, was ich habe und was ich bin. Wegen Gault.«
    Marino sagte noch immer nichts, und mir wurde klar,

Weitere Kostenlose Bücher