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Die tote Schwester - Kriminalroman

Die tote Schwester - Kriminalroman

Titel: Die tote Schwester - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Brueggenthies
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Lena und er keinen besseren Abend hätten verbringen können. Es schien eine wunderbare Fügung zu sein, einen Menschen wie Samuel Weissberg kennenzulernen. Sie waren zu einer nahegelegenen Bar gegangen. Die Lokalität war nur halb gefüllt, was aber nicht die Tatsache verbarg, dass sie angesagt war. Die meisten Gäste trugen Anzüge oder Kleider; Zbigniew fühlte sich ein wenig underdressed . Das Bier kostete sieben Dollar, insofern war es kaum verwunderlich, dass fast alle Gäste noch teurere Cocktails tranken. Zbigniew hatte sich dennoch ein Bier bestellt, ebenso wie Samuel Weissberg.
    Der Raum bestand aus einem langen Schlauch, in dem sich eine nahezu endlose Theke hinzog. Neben einer Hockerreihe längs der Theke war nur noch Platz für einen schmalen Gang und, an der Wand, eine auf ein Podest gebaute Tischreihe.
    Weissberg setzte sich Zbigniew und Lena an einem der Tische gegenüber. Die Tischplatte war aus weißlichem Marmor, am Rand in bordeauxfarbenes Leder eingefasst.
    Später hätte Zbigniew jedes Detail im Raum genau beschreiben können.
    Sie redeten Stunden miteinander. Zunächst wollte Weissberg einige Zusammenhänge aus der letzten Ermittlung von Zbigniew erfahren. Zbigniew erzählte bereitwillig, doch mit gewisser Zurückhaltung. Weissberg entging dies nicht; er besaß so viel Fingerspitzengefühl, an manchen Stellen nicht genauer nachzufragen.
    Zbigniew begriff schnell, dass Weissberg ein Polizeibeamter gewesen war, mit dem er selbst gern zusammengearbeitet hätte. Bald war Weissberg es, der eloquent erzählte – aus vierzig Jahren New Yorker Kriminalgeschichte. Die verrückten Siebziger, die kalten Achtziger, das Partyjahrzehnt der Neunziger und dann die Angst nach 9/11. Es waren kleine Geschichten, die Weissberg erzählte, Geschichten aus der Perspektive eines Mannes, der amerikanische Großstadtrealitäten hautnah miterlebt hatte. Erstaunlicherweise war Weissberg kein Zyniker geworden.
    Zbigniew und Weissberg tauschten sich bis ins Detail aus, über die Polizeistrukturen, über Täter, über Waffensysteme. Eine Zeit lang hatte Zbigniew Angst, dass Lena sich langweilen könnte. Doch dann wurde ihm klar, dass es für sie ebenso faszinierend war.
    »Vielleicht kannst du ja mal einen Polizistenaustausch machen, so wie man einen Schüleraustausch macht«, sagte sie schließlich zu ihm.
    Zbigniew nickte.
    »Innerhalb der EU gibt es das sogar. Aber für so etwas bin ich zu alt, glaub’ ich. Wobei, ich wäre eigentlich immer lieber in den USA Polizist gewesen als in Deutschland. Weil hier die Uniformen und die Dienstwagen einfach besser aussehen. Respektabler .«
    Samuel Weissberg lächelte.
    »Das war auch der Grund, warum ich Polizist werden wollte. Schon als kleiner Junge hab ich davon geträumt. – Und natürlich, weil man die Bösen verhaften kann, mit Handschellen und Waffen. Weil man immer auf der Seite der Guten steht.«
    Plötzlich wurde er nachdenklich.
    »Hätte ich am Anfang gewusst, was es wirklich bedeutet, Polizist zu sein, dann hätte ich wohl niemals als kleiner Junge davon geträumt«, sagte er ernst.
    Die Stimmung war umgeschlagen. Lena sah Weissberg durchdringend an. Er schien seine Gedanken sammeln zu müssen.
    »Am 4. Juni 1985 war mein tiefster Punkt«, fing er an zu erzählen. Er stockte, als ob er die Befürchtung hätte, sie wollten seine alten Geschichten nicht hören.
    Zbigniew sah in seine Augen, nickte ihm aufmunternd zu. Lena hing ohnehin an seinen Lippen.
    Weissberg räusperte sich, kratzte sich am Kinn. Dann sprach er weiter.
    »Es gab einen Überfall auf einen kleinen 24-Stunden-Laden in SoHo. Als wir kamen, hatten die beiden vermummten Täter den Besitzer und eine Kundin als Geisel genommen. Im Nu war da ein großes Aufgebot, zehn Polizeiwagen, Großeinsatz. Und dann ist die Sache irgendwie aus dem Ruder gelaufen … «
    Weissberg schwieg einen Moment lang. Das Licht in der Bar schien etwas dunkler geworden zu sein, die Musik etwas leiser. Zbigniew und Lena warteten geduldig, bis er weitererzählte.
    »Wir standen vor dem Laden und warteten. Und dann kam der Beschluss von oben, da reinzugehen. Wir sind los, in den Laden. Am Anfang schien alles gut … doch dann haben die Gangster ihre Waffen gezogen. Einer von uns hat die Nerven verloren und direkt geschossen. Die erwidern das Feuer, ich schieße auf einen der Typen, die Kugeln fliegen hin und her. Das ging alles in ein paar Sekunden, so schnell, wie man gar nicht denken kann. Die Täter waren am Ende tot, genauso wie

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