Die tote Stadt: Frankenstein 5: Roman (German Edition)
unnützer alter Landstreicher wie ich kann Zeichen am Himmel sehen, wenn sie groß und hell genug sind.«
Nummy blickte zum Himmel auf, sah aber keine Zeichen, nur den fallenden Schnee.
Mr Lyss lächelte, was ein ganz erstaunlicher Anblick war, und er legte Nummy eine Hand so auf die Schulter, dass es ihn an Großmama denken ließ. »Über diese Stadt ist heute Nacht ein großes Übel hereingebrochen, mein Sohn, größer als jedes, dessen Existenz die meisten Menschen sich jemals eingestehen werden. Wenn das alles vorbei ist, werden sie einfach behaupten, es seien diese menschlichen Maschinen gewesen, ein Amoklauf der Wissenschaft, was durchaus wahr ist, aber es ist eben nicht die ganze Wahrheit. Jedenfalls herrscht heute Nacht in Rainbow Falls nicht nur das Böse, sondern auch noch etwas anderes.«
»Was denn noch?«, fragte Nummy.
»Von Anfang an hat sich alles zu unseren Gunsten entwickelt, obwohl es niemals so hätte kommen sollen. Wir sollten schon mindestens zehnmal gestorben sein.«
»Das liegt daran, dass Sie so klug sind.«
»Ich bin klug genug für einen Landstreicher, aber ich wäre kein Landstreicher, wenn ich so klug wäre, wie ich es von mir behauptet habe. Es gibt einen Grund dafür, dass sich die Dinge zu unseren Gunsten entwickeln, und ich glaube, ich kenne diesen Grund. Den Teil werde ich dir später erklären. Aber der größte Schatz ist uns in den Schoß gefallen, als wir dieses kaputte Monster gefunden haben, vor allem, wenn man bedenkt, woran es zerbrochen ist. Der Kerl weiß Dinge über die Maschine, die Monster herstellt, die nur einer von seiner Sorte wissen kann, und in diesem Krieg sind das Informationen von unschätzbarem Wert. Wir müssen jemanden finden, der weiß, wie man das, was dieses kaputte Monster weiß, nutzt.«
»Wer soll das sein?«
»Ich weiß es nicht. Aber ich werde auf dich aufpassen, und ich werde das Klügste tun, was mir einfällt, aber ab und zu werde ich auch sagen: ›Gib mir einen Fingerzeig‹, und genau das tun, was mir meine Intuition sagt. Die Intuition ist die kleine Stimme in deinem Innern, die dir sagt, was richtig und was falsch ist, was ratsam und was töricht ist – und das ist nicht dasselbe wie dumm und klug. Ist dir jetzt wohler zumute bei dieser ganzen Sache?«
»Nein«, sagte Nummy. »Na ja, vielleicht ein kleines bisschen. Aber der falsche Boze ist trotzdem ein Monster.«
Mr Lyss sagte zu Nummy, er solle sich auf den Rücksitz setzen und hinter den Fahrer rüberrutschen. Dann legte er das lange Gewehr auf den Sitz, den Lauf von Nummy abgewandt, und sagte: »Komm bloß nicht auf die Idee, damit Kaninchen jagen zu gehen.«
»Ich gehe nie auf die Jagd«, sagte Nummy.
»Und denk daran, dass es ein gestohlenes Gewehr ist.«
»Sie haben es aus dem Haus des Predigers gestohlen.«
»Stimmt. Du willst doch nicht auch noch in dieses Verbrechen mit reingezogen werden, wenn man all die anderen Gaunereien bedenkt, deren du dich in der letzten Zeit schuldig gemacht hast.«
»Ich werde es nicht anrühren.«
Mr Lyss schloss die hintere Tür, stieg vorn ein, schloss auch diese Tür und reichte der Boze-Kopie den Schlüssel.
Das Monster ließ den Wagen an und sagte: »Wohin fahren wir?«
»Nummy«, sagte Mr Lyss, »das ist jetzt der Moment für einen Fingerzeig, wenn es jemals einen gegeben hat oder einen geben wird.«
Mr Lyss blieb eine Weile stumm. Nur das Geräusch des Motors im Leerlauf war zu hören, und draußen rieselte der Schnee durch die Nacht herab, in einem Neigungswinkel, den der Wind bestimmte.
Nummy saß da und starrte den Hinterkopf des Monsters an, und das Monster fing nicht an, eine traurige Melodie zu summen oder etwas dergleichen, sondern saß einfach nur da und wartete, wie Nummy.
Nach einer halben Minute, wenn nicht länger, beugte sich Mr Lyss vor und schaltete das Autoradio ein.
Im Radio sprach ein Mann von einem Krieg irgendwo. Dann sagte er Rainbow Falls. Dann sagte er etwas über Menschen, die keine Menschen waren.
Mr Lyss sagte: »Vielen herzlichen Dank.«
52.
Der Kokon barst. Sie war befreit. Sie trat in den Keller des Gerichtsgebäudes.
Ein Dunst von Millionen von Nanotieren stieg von ihrer Haut auf. Eine Illusion von Kleidungsstücken bildete sich und schmiegte sich an sie, als der Dunst sich auflöste.
Sie war die Revolution. Sie würde die Vergangenheit verschlingen.
Ganz in ihrer Nähe spie ein weiterer Kokon eine weitere Schönheit aus. Ein kleiner umherschwärmender Teil von ihr wurde zu ihrem
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