Die tote Stadt: Frankenstein 5: Roman (German Edition)
abspielte, rüttelte das Fahrzeug durch; es quietschte und knirschte, hopste auf seinen Rädern, und die Federung sang ein gemartertes Lied. Jetzt schrie nur noch eine Person. Zwei Scheiben bekamen Sprünge, zerbrachen aber nicht, und etwas spritzte gegen das Glas, nicht Blut, aber vielleicht war ein bisschen Blut darin. Der Fahrer hatte keine Kontrolle mehr über den Wagen und war höchstwahrscheinlich nicht einmal mehr am Leben. Der Trailblazer rollte über die Kreuzung, sprang auf einen Randstein, pflügte in eine Hecke und kam zum Stehen, nach links geneigt. Der letzte Schrei verklang in einem dünnen Falsett, aber etwas tobte immer noch im Inneren des Fahrzeugs, als fiele es wild über die Reste her. Dort drinnen herrschte reines Chaos, und Rusty konnte sich keinen Reim auf die brodelnden Formen machen, die er zwischendurch zu sehen bekam.
Er war zögernd ein paar Schritte auf den Trailblazer zugegangen, als dieser im Leerlauf über die Kreuzung rollte. Aber als er bebend in der Hecke zum Stehen kam, wusste Rusty, dass es nichts gab, was er tun konnte, um diesen Men schen zu helfen. Möglicherweise gab es auch nichts, was er tun konnte, um sich selbst zu retten, aber er rannte los.
55.
Deucalion beförderte eine dritte Gruppe von Kindern zu Erikas Haus und hob die Anzahl der Flüchtlinge, die dort Unterschlupf gefunden hatten, damit auf zweiundvierzig an, was das maximale Fassungsvermögen des Hauses bereits zu überschreiten schien. Sie beharrte jedoch darauf, sie könnte noch mehr Kinder aufnehmen, und Addison Hawk stimmte ihr zu, gemeinsam könnten sie noch einmal halb so viele unterbringen, wenn sie den Alltagsablauf durch ein paar Regeln straff organisierten. Sie hatten ge nug Lebensmittel für die nächsten sechsunddreißig bis achtundvierzig Stunden, und bis dahin könnte Deucalion auch Nachschub bringen.
Als sich die Anzahl der Kinder in der vierten Gruppe jedoch auf vierunddreißig belief, musste die Entscheidung getroffen werden, sie anderswo unterzubringen. Mit Carsons und Michaels Hilfe ließ Deucalion die Kinder dicht nebeneinander auf den Bänken an den Wänden des Lade raums Platz nehmen sowie in zwei Reihen, die einan der auf dem Boden gegenübersaßen. Sie waren so dicht zusammengedrängt, dass es unerträglich gewesen wäre, wenn die Fahrt nicht nur zwei Minuten gedauert hätte. Sie versuchten, tapfer zu sein. Ein paar weinten, aber leise, während andere den abenteuerlichen Charakter dieses unerwarteten nächtlichen Ausflugs tatsächlich spannend fanden.
Da jeder einzelne Punkt auf der ganzen Welt so nah am Haus der Samples’ lag wie Erikas Haus, fuhr Deucalion die Auffahrt hinunter, bog nach links ab und fuhr auf den Parkplatz der St. Bartholomew’s Abbey hoch oben im Gebirge im Norden Kaliforniens. Außer der Abtei mit ihrem Gästeflügel und der Kirche gehörte zu dem Anwesen von knapp drei Hektar auch die Schule von St. Bartholomew, die eine Lehranstalt und ein Waisenhaus für Kinder mit körperlichen Behinderungen und Entwicklungsstörungen war. Die Mönche betreuten die Abtei und die Kirche, und Benediktinernonnen unter der Leitung von Schwester Angela, der Mutter Oberin, betrieben die Schule.
Deucalion hatte mehr als zwei Jahre lang hier gelebt, im Gästeflügel, während er in sich ging, ob er um Aufnahme in die Gemeinschaft ersuchen sollte. Im Lauf der Jahrhunderte hatte er über ausgedehnte Zeiträume in Klöstern verschiedener Glaubensrichtungen gelebt, wo er nie als ein Ungeheuer angesehen wurde, sondern immer als ein Bruder, und zu seinem Erstaunen hatte er manchmal jenen als Mentor gedient, die er für weiser hielt als sich.
Vor weniger als vierundzwanzig Stunden hatte er die Abtei verlassen. Zuerst hatte es ihn nach New Orleans gezogen, dann zu der weitläufigen Mülldeponie, in der der ursprüngliche Victor umgekommen war, dann zu Carson und Michael in San Francisco, von der plötzlichen Gewissheit getrieben, dass Victor wieder am Leben war und sich dem Streben nach seiner Utopie widmete, die, wie alle Utopien, eine Art Hölle war.
Als er aus dem Lieferwagen stieg, hupte er zweimal, um Hilfe herbeizurufen. Er ging um den Lieferwagen herum, öffnete die hintere Tür und sagte: »Wir sind da. Hier wird es euch gefallen. Ihr werdet nur für kurze Zeit hier sein, und es wird euch großen Spaß machen.«
Die Kinder kletterten aus dem Lieferwagen und stellten erstaunt fest, dass sie, nicht mehr als zwei Minuten nach ihrem Aufbruch zu diesem Ausflug, an einem Ort waren, den
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