Die tote Stadt: Frankenstein 5: Roman (German Edition)

Ding, das diesen Kokon gesponnen hat, jetzt darin zusammengerollt?«, fragte Dagget. »Oder hat es dort etwas reingestopft wie in den Eierbeutel einer Spinne und ist dann weggekrochen? Und falls es weggekrochen sein sollte, wo ist es dann jetzt?«
    »Nicht im Haus. Wir haben das Haus durchsucht.«
    »Den Dachboden haben wir nicht durchsucht.«
    Frost blickte zur Decke auf. Er malte sich in dem Dachgebälk über ihnen eine riesige Insektenkönigin aus, die sich von ihren Stimmen angelockt fühlte und auf sie zusteuerte. Er konzentrierte sich wieder auf den Kokon, und dieser kam ihm nicht mehr so unheilvoll vor wie noch vor einem Moment, wenn er andere mögliche Bedrohungen in Betracht zog.
    Dagget schüttelte das zusammengefaltete Handtuch aus. Mit nur einer Lage zwischen seiner Hand und dem Sack presste er seine Handfläche auf die glitzernde Oberfläche.
    Frost beobachtete, wie das Fadenkreuz seiner Pistole über dem anvisierten Punkt zitterte. Er holte langsam und tief Atem und stieß die Luft noch langsamer wieder aus, wobei er sich ausmalte, seine Hände hielten vollkommen still – und sein Tremor legte sich.
    »Interessant«, sagte Dagget, der seine Hand, durch das Handtuch geschützt, flach auf den Sack gelegt hatte.
    »Was?«, fragte Frost.
    »Es ist sehr warm, sogar heiß. Die Hitze kommt durch das Handtuch, und doch fühle ich keine Hitze, die es in die Luft abgibt, nicht die geringste.«
    Frost, den die gleitenden Geräusche zunehmend beunruhigten, sagte: »Kannst du Bewegung darin fühlen?«
    Dagget schüttelte den Kopf. »Da bewegt sich nichts. Aber riechst du das?«
    »Nein. Nichts.«
    »Ganz schwach ...«
    »Was?«, fragte Frost.
    »So ähnlich wie die brennende Isolierung eines Stromkabels bei einem Kurzschluss.«
    »Ich rieche gar nichts.«
    Dagget beugte sich näher zu dem Sack vor, schnupperte und sagte: »Ja, wie brennende Isolierung.«
    »Vielleicht wird das Handtuch versengt.«
    »Nein.« Daggets Gesicht war jetzt nur noch fünfzehn Zentimeter von dem glitzernden Kokon entfernt. »Nicht das Handtuch. Es ist heiß, aber nicht so heiß. Oh ...«
    »Was – oh?«
    »Der Geruch hat sich gerade verändert. Jetzt riecht es nach Rosen.«
    »Von einem brennenden Stromkabel zu Rosen?«
    »Und ich glaube ...«
    »Was?«, fragte Frost.
    »Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, ich habe gerade gefühlt, wie sich da drinnen etwas bewegt.«
    Mit einem Geräusch, das so klang, als würde ein Klettverschluss geöffnet, aber auch so, als platzte bei der Autopsie der aufgeschwemmte Bauch einer Leiche schmatzend unter dem Skalpell auf, barst der Sack.

20.
    Nachdem sie im Windfang ihre schneeverkrusteten Stiefel ausgezogen hatten, kamen die männlichen Gemeindemitglieder der Kirche der apokalyptischen Reiter der Offenbarung in Gruppen von vieren oder fünfen in die Küche, um sich anzuhören, wie ihnen Carson und Michael die Alternative zu den Aliens aus dem Weltraum als Erklärung schmackhaft machen wollten. Sie wussten, dass ihre Ehefrauen bereits überzeugt worden waren, und sie gaben viel auf deren Meinung. Es waren Frauen, die sich von der Welt niemals verwirren oder ermatten ließen; sie hielten die Zügel ihres Lebens energisch in den Händen, hatten ihre Füße in den Steigbügeln und saßen fest im Sattel.
    Keiner von beiden, weder Carson noch Michael, erwähnte den Namen Frankenstein. Dolly und Hank Samples und ihre Freunde waren bemerkenswert aufgeschlossen. Sie hatten bewiesen, dass sie Entwicklungen verkraften konnten, die ihre Welt von einem Moment auf den anderen auf den Kopf stellten. Aber Carson und Michael waren Außenstehende in dieser Gemeinschaft, und selbst diejenigen unter den apokalyptischen Reitern , die besonders gastfreund lich, vertrauensvoll und beeinflussbar waren, würden an irgendeinem Punkt frontal an die Grenzen dessen stoßen, worauf sie sich einlassen konnten.
    Nanotechnologie, menschenfressende Maschinentiere, Replikanten, ein Komplott, die gesamte Menschheit aus zurotten – die derzeitige Situation war in ihrer verstie genen Fantastik ohnehin schon unfassbar. Hätte man da noch die Enthüllung folgen lassen, dieses Chaos ginge auf einen zweihundertvierzig Jahre alten Wissenschaftler zurück, der noch durchgeknallter war, als Colin Clive ihn in dem Film gespielt hatte, und werde durch ein zweihundertjähriges Monster bekämpft, das einen guten Menschen aus sich selbst gemacht hatte, sogar einen Helden ... Nein. Schließlich waren sie hier im vernünftigen ländlichen Montana;