Die Tote vom Johannisberg
ein.
»Apropos arbeiten.«
»Ja?«
»Eigentlich wollte ich dich um einen Gefallen bitten.«
»Schieß los.«
»Kannst du mir vielleicht was leihen?«
»Klar«, sagte sie ohne zu zögern und öffnete ihr Handtäschchen. »Wieviel brauchst du?«
»Bist du sicher, daß du mir was leihen kannst? Ich meine, wo es doch hier so schlecht läuft.«
»Ach, ich hatte gerade meinen Stammkunden. Der ist großzügig. Vergiß es.«
»Fünfhundert. Du kriegst es so schnell wie möglich zurück.«
Sie zählte die Scheine ab, gab mir das Geld und sah mich prüfend an. »Deine Nachforschungen scheinen dich aber auch nicht gerade reich zu machen, was?«
»Du sagst es. Aber ich hoffe, daß sich das bald ändert.«
»Na ja, mach dir nichts draus. Und entschuldige, daß ich dich mit meinen Problemen genervt habe. Im Grunde geht’s dir ja auch nicht besser. Laß dir Zeit mit dem Zurückzahlen. Ist nicht so dramatisch.«
»Danke.«
Langsam fuhr ein Auto heran. Es war ein dunkler Wagen mit Remscheider Kennzeichen.
»Hau ab, Rott, Kundschaft«, zischte Anja.
Ich entfernte mich. Nach ein paar Metern blickte ich mich um.
Anja war noch in der Verhandlungsphase. Sie hatte sich gebückt; ihr Kopf steckte im heruntergekurbelten Beifahrerfenster. Gar nicht so einfach mit der Frisur.
Auf dem Rückweg die Wupper entlang sah ich am Fluß wieder die bekannte Bewegung. Eine Ratte begleitete mich ein Stückchen. Ich hier oben, sie da unten.
5. Kapitel
Als am nächsten Morgen das Telefon klingelte, war mir schlagartig klar, daß in den Schulen wieder mal große Pause war. Trotzdem ging ich ran.
»Rott.«
»Ist da Re-mi-gi-us Rott?«
»Ja.«
Ich wußte, was kam. Derjenige, dem diese Kinderstimme gehörte, verstellte sich schlecht oder hatte gar keine Lust dazu.
»Hallo Remigius«, sagte die Stimme fröhlich. »Weißt du was? Ich bin scheiße - und du bist schuld!«
Noch bevor das stürmische Gelächter der Kids durch die Leitung dringen konnte, hatte ich aufgelegt. Ich seufzte. Eigentlich hätten mir meine Eltern auch einen normalen Vornamen geben können. Rolf zum Beispiel. Oder Michael. Aber es mußte ausgerechnet Remigius sein. Ich hatte mich in den siebenunddreißig Jahren einigermaßen daran gewöhnt. Manche Zeitgenossen offenbar nicht.
Ich sah auf die Digitalanzeige meines Radioweckers. Es war kurz nach halb zehn. Das Telefon klingelte wieder.
Ich hob ab - auf einen weiteren Scherzanruf gefaßt.
»Hallo?« sagte ich diesmal nur, um eventuelle Feinde zu verwirren.
»Detektei Rott?« Es war eine Frauenstimme, diesmal jedoch nicht so sanft wie ein Sahneklacks, sondern eher kratzig und alt.
»Am Apparat«, antwortete ich.
»Herr Rott persönlich?«
»Ganz recht.«
»Hier ist Mallberg.«
Ich sagte nichts.
»Helga Mallberg. Die Mutter«, erklärte die Frau.
»Guten Tag, Frau Mallberg.«
»Könnten wir uns unterhalten? Ich meine, persönlich. Nicht am Telefon.«
»Gern. Möchten Sie hierher in mein Büro kommen oder …«
»Es wäre mir lieber bei mir.«
Sie nannte eine Adresse in Ronsdorf und bat mich, um halb elf da zu sein.
Als ich auflegte, trippelte die Katze um die Ecke. Ich hatte mir angewöhnt, das Bürofenster offenzulassen, und so konnte sie kommen und gehen, wann sie wollte.
»Das riecht nach Kundschaft«, sagte ich und kraulte ihr Köpfchen. »Wenn schon nicht die Tochter, dann wenigstens die Mutter.« Dann verließ ich die Wohnung.
In der Stadt versorgte ich mich mit der aktuellen Presse. Offenbar hatten weder die Polizei noch die Journalisten das Wochenende über geschlafen. Es gab jetzt sogar eine Theorie: Man tippte auf Selbstmord. Der Express fragte »War es Selbstmord?« in großen Buchstaben auf dem Titel, Bild stellte seine Leserschaft mit der Formulierung »Es war Selbstmord!« vor vollendete Tatsachen, die WZ erklärte sachlich »Selbstmord nicht ausgeschlossen«. Alle drei lieferten auch gleich das Indiz dafür: Es gab einen Abschiedsbrief, von Regina Mallberg selbst verfaßt und unangefochten echt, wie die Polizei verlauten ließ.
Aufwendiger Selbstmord, dachte ich, das hätte Regina Mallberg auch leichter haben können. Warum hatte sie nicht die Züge am nahen Bahnhof in Anspruch genommen?
*
Eine Stunde später hatte ich eine bewegende Busfahrt hinter mir: Durch die berüchtigten Kerbtäler, die tiefen Einschnitte in die Landschaft rund um Wuppertal, war es in gnadenlosen Kurven hinauf nach Ronsdorf gegangen - zusammen mit älteren Herrschaften, die wahrscheinlich zur Klinik Bergisches
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