Die Tote vom Johannisberg
Tochter schließlich noch kennengelernt. Und Sie waren dabei, als sie starb.«
Ich hatte ihr eine Möglichkeit gegeben, den Zweifel in ihrem Inneren zu beseitigen.
»Was würde mich das kosten?«
»Vierhundert am Tag plus Spesen. Ich kriege drei Tage Vorschuß. Der heutige Tag zählt mit. Danach gibt es einen Bericht, und Sie entscheiden, ob Sie mich weiter ermitteln lassen wollen.«
Sie blickte mich eine Weile ausdruckslos an. Worüber dachte sie jetzt wieder nach? Waren ihr meine Dienste vielleicht zu teuer? Sie stand auf und ging aus dem Zimmer. Als sie zurückkam, hatte sie Geldscheine in der Hand. Sie legte sie auf den Tisch. Ich zählte eintausendzweihundert Mark und steckte sie ein.
»Dann viel Erfolg«, sagte sie. Sie wirkte wie jemand, der eine Lebensversicherung unterschrieben hat und nun mit dem ganzen Papierkram nichts mehr zu tun haben möchte.
»Einen Moment«, sagte ich, »ich glaube, daß es für meine Nachforschungen notwendig ist, noch ein wenig mehr über Ihre Tochter selbst zu erfahren.«
»Was meinen Sie damit?«
»Es ist wichtig, die verschiedenen Einflüsse, denen Ihre Tochter ausgesetzt war, etwas näher in Augenschein zu nehmen. Kurz gesagt - ich muß wissen, mit wem Ihre Tochter Kontakt hatte. Ich muß etwas über ihren Freundeskreis erfahren.«
Frau Mallberg blickte irritiert zur Seite. Ihre Aufmerksamkeit schien einem Hirschgeweih zu gelten, das über der Sitzecke thronte. Vielleicht hatte sie einen Staubfussel entdeckt.
»Nun, da weiß ich auch nicht so recht.«
»Sie wird doch Freunde gehabt haben«, beharrte ich. »Leute, mit denen sie sich traf. Andere Studenten.«
»Also, junger Mann«, sagte sie plötzlich in scharfem Ton und schüttelte den Kopf. »Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Sie war so offen zu uns, so … schutzbedürftig. Sie hat sich natürlich überhaupt nicht mit ihren Altersgenossen abgegeben.«
Ich versuchte zu verstehen, was daran natürlich war. »Wo hat sie gewohnt?«
Frau Mallberg hob erstaunt den Kopf. »Hier bei uns selbstverständlich.«
»Selbstverständlich.«
»Sie war unser einziges Kind«, erklärte Frau Mallberg, als ob das ein Grund dafür wäre. »Sie hat sich in ihrem Vaterhaus immer so wohlgefühlt.«
»Hat sie hier auch immer Klavier geübt?«
»Manchmal.«
»Es wäre vielleicht nett, wenn ich einmal in ihr Zimmer schauen könnte.«
Sie wehrte ab. »Aber das geht doch nicht. Muß das wirklich sein?«
»Ihre Tochter hatte vielleicht ein Adreßbuch, in dem sie die Telefonnummern ihrer Freundinnen notierte. Aber ich möchte Ihnen natürlich keine Umstände machen.«
»Nein, nein. Wenn es nicht so lange dauert. Ich muß mich langsam an das Essen machen, wissen Sie. Mein Mann ist geschäftlich unterwegs und kommt bald nach Hause. Bei uns wird immer pünktlich gegessen.«
Sie stand auf und verließ das Wohnzimmer. Ich folgte ihr. Wir betraten die Diele und stiegen eine breite Treppe hinauf. Kurz darauf standen wir vor einem Zimmer. Sie öffnete die Tür.
»Die Polizei hat hier überall nach Spuren gesucht. Dabei hat sie auch diesen … Brief gefunden. Wissen Sie, mein Mann hätte in ihrem Zimmer am liebsten alles schon ausgeräumt, aber ich möchte, daß es noch eine Weile so bleibt. Ich bekomme es nicht übers Herz, hier etwas zu verändern. Schließlich ist Regina noch nicht einmal unter der Erde. Bitte rühren Sie nichts an.«
Der Raum war länglich. An der gegenüberliegenden Stirnseite war das Fenster, darunter stand ein kleiner Schreibtisch. Rechts an der Wand befand sich das Bett mit einer rötlich-schwarzen Tagesdecke. Links gab es Bücherregale, gefüllt mit Papierkram in allen möglichen Größen. Bücher, Ordner, Mappen. Studienunterlagen, vermutete ich.
Insgesamt wirkte das Ganze wie ein spießiges Jungmädchenzimmer aus den 60er Jahren. Sogar Poster über dem Bett gab es. Doch es waren keine Pop-Stars, die sich Regina in ihr Zimmer geholt hatte, sondern alte Männer. Erst beim zweiten Hinsehen begriff ich, daß es sich um klassische Musiker handeln mußte.
»Sie interessierte sich nur für klassische Musik«, erklärte Frau Mallberg. »Dieses moderne Zeug war nichts für sie. Verstehen Sie auch etwas davon?«
»Nicht sehr viel, glaube ich.«
Sie wies mit ihrer knochigen Hand auf das erste Plakat. »Das hier ist Herbert von Karajan. Und das hier« - sie zeigte auf einen Herrn mit Brille, den ich auf den ersten Blick für einen Sparkassendirektor gehalten hätte - »ist Alfred Brendel, der große
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