Die Tote vom Johannisberg
Weile das Wuppertaler Tierleben, dann hielt hinter mir ein Wagen. Ich drehte mich um.
»Hallo Rott«, grüßte Anja von der anderen Straßenseite, »das nenn ich ‘ne Überraschung.«
Ich hatte Anja bei einem meiner ersten Fälle kennengelernt. Damals war es um einen entlaufenen Ehemann gegangen, der Urlaub von seiner Frau machte und sich mit allerlei Liebesdienerinnen herumtrieb. Die Ehefrau hatte auf eine konventionelle Nebenbuhlerin getippt, zumal der Mann Andeutungen gemacht hatte, daß er eine Scheidung plane. Am Ende stellte sich heraus, daß er zwanzigtausend Mark im Lotto gewonnen hatte, seiner Frau kein Sterbenswörtchen davon gesagt hatte und statt dessen mit dem Geld die Sau rausließ. Als er aufgrund meiner Recherchen unter moralischen Druck geriet, war alles so gut wie verpulvert und nach Ableistung vielfältiger Dienstbarkeiten zum großen Teil in Anjas Tasche gewandert.
»Hallo Anja. Ich denke, ihr dürft keine Kunden ansprechen«, sagte ich tadelnd. »Deine Freundin Susanne da drüben hat mich dermaßen angebaggert, daß ich mich geradezu belästigt fühlte.« Ich warf die abgebrannte Zigarette hinunter in die Wupper.
Anja grinste. »Ach hör mir auf mit Ärger, den haben wir genug. Hast du für mich auch ‘ne Kippe?«
Ich kramte nach den Camels, fand sie und hielt ihr die Schachtel hin. Aus den übrigen zwei wurde eine, die ich mir selbst sogleich genehmigte. Ich gab Anja Feuer.
»Willst du nicht mal in einem ordentlichen Etablissement arbeiten? Statt hier auf der Straße? Noch hättest du alle Chancen.«
Anja hätte man kaum abgenommen, daß sie hier am Islandufer auf den Strich ging. Sie war zweiunddreißig Jahre alt und sah von weitem aus wie zweiundzwanzig, von nahem wie sechsundzwanzig. Ihr Aufzug war weniger aufreizend als der ihrer Kolleginnen. Sie trug Jeans, weiße Stiefel und einen dünnen Pullover. Ihr Gesicht war eine Spur stärker geschminkt, als es üblich gewesen wäre. Das kastanienrote Haar war aufwendig aufgebürstet und mit Haarspray in Form gebracht. Das kleine schwarze Handtäschchen, das ihr über der Schulter hing, paßte nicht so recht zu dieser Garderobe - war aber nötig, um die finanzielle Beute sowie Utensilien zum Nachschminken und allerlei Handwerkszeug aus Latex zu verstauen. Ich wußte, was Anjas Spezialität war. Und daher wußte ich auch, daß sie nach jedem Freier eine neue Lage Lippenstift benötigte.
Sie nahm einen tiefen Zug und lächelte mich an. »Danke«, sagte sie. »Und was das Etablissement angeht: Da tut sich tatsächlich was in Wuppertal. Hast du schon mal was vom ›Großen Boß‹ gehört?«
Ich schüttelte den Kopf. Rotlichtstories interessierten mich nicht. Nur wenn sie mit einem meiner Klienten zu tun hatten.
»Da gibt es einen, der will in Wuppertal alles an sich reißen. Bumsläden, Spielerei, verbotene Videos, wahrscheinlich auch Rauschgift.«
»Woher weißt du das so genau?«
»Spricht sich eben so rum.«
»Und was bedeutet das für dich?«
Anja schnippte die Asche auf die Straße. »Scheiß-Konkurrenz. Wenn sie da was aufmachen, wo Sadomaso und anderes Perverses abläuft, da haben wir hier keine Schnitte mehr. Wo doch sowieso jeder Angst hat, sich was einzufangen.«
Wir rauchten eine Weile und betrachteten dabei den friedlichen Fluß. Die Ratte hatte sich verzogen.
»In anderen Städten gibt’s schon so eine Art Berufsverband für uns«, sagte sie plötzlich.
»Wollt ihr so was auch gründen?«
»Warum nicht?« Anja seufzte. »Das heißt… Ach Rott, keine Ahnung. Aber weißt du - wir gehen einem Beruf nach, der ja immerhin … eine gewisse Bedeutung hat. Das älteste Gewerbe der Welt und so.« Plötzlich schien ihr etwas einzufallen. »Und denk dran, daß es schon einen Todesfall gegeben hat.«
»Todesfall?«
Sie nickte heftig. »Vor zwei Monaten oder so muß es gewesen sein. Da hat so ein Schwein Britta umgelegt - hier am Ufer. Mit dem Auto. Einfach überfahren und abgehauen.«
Die Geschichte dämmerte aus meinem Gedächtnis hervor. Jemand hatte am Islandufer eine Prostituierte angefahren und Fahrerflucht begangen. Der Täter wurde nicht gefaßt. Das Mädchen starb kurz danach im Krankenhaus.
»Und du glaubst, auch das geht auf die Rechnung von eurem ›Großen Boß‹ oder wie ihr ihn nennt?«
»Ganz bestimmt. Der will uns hier weghaben. Oder in seinem eigenen Laden arbeiten lassen.«
Wieder entstand eine Pause. Ich beschloß, möglichst raffiniert zum Thema zu kommen. Mir fiel aber kein eleganter Übergang
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