Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
mit angesehen und verstanden. Irgendwie hatte es sich ergeben, dass die beiden Frauen sich einerseits gegenseitig verachteten und andererseits in einem gewissen Rahmen tolerierten. Wenn man einander nicht gut aus dem Weg gehen konnte, war es besser, sich nicht unnötig Steine in den Weg zu legen.
    Dann musste Elsa an Julius denken. Wie konnte sie je wieder sicher sein, die Gefühle eines Menschen richtig einzuschätzen? Diese entsetzliche Woche hatte all ihre Gewissheiten in den
Grundfesten erschüttert. Beim Abendessen am Vortag war ihr aufgegangen, dass sie kaum etwas von dem wusste, worauf es einem dieser Menschen wirklich ankam, was er liebte oder hasste, sich ersehnte oder worum er trauerte. Olgas Selbstekel und Isolierung ließen sich ohne Weiteres verstehen, zumindest an der Oberfläche. Warum aber wehrte sie sich nicht? War jeder Versuch dieser Art ihrer Ansicht nach sinnlos geworden? Hing ihre innere Leere und Mattigkeit eher mit Enttäuschung als mit einer Niederlage zusammen?
    Dass sich Simnel in Minnie verschossen hatte, war angesichts ihrer Fröhlichkeit, ihrer Begeisterungsfähigkeit und ihres inneren Feuers nicht schwer zu verstehen. Mit diesen Eigenschaften war sie das genaue Gegenstück zu Olga gewesen. Doch lag all das nicht nur an der Oberfläche? War nicht Minnies Feuer nichts weiter als Begierde gewesen und Olgas Kälte nichts als ein Ergebnis eines durch Zurückweisung verursachten Schmerzes, der sie hatte erstarren lassen? Sogar ihre Kinder hatte sie nur flüchtig erwähnt, als habe sie nicht einmal mehr den Mut, mit den Waffen zu kämpfen, die ihr zur Verfügung standen.
    Liliane hatte unübersehbar Angst, dass Hamilton, wenn er zu viel trank, ein schreckliches Geheimnis preisgeben könnte, wobei unklar war, ob es ihn selbst oder einen anderen Menschen betraf. Ging es dabei um den Mord an der Frau in Afrika, dessen Umstände dem im Palast begangenen angeblich so ähnlich waren? Jedenfalls hielt sie ihre schützende Hand über ihn, als sei er nicht ihr Mann, sondern eins ihrer Kinder.
    Und dann Julius. Von diesem Schlag war Elsa ganz benommen. Es schien ihr unfasslich, dass er Minnie getötet und all diese Daseinsfreude vernichtet haben sollte, die ungeheure Begierde, das Leben um jeden Preis auszuschöpfen. Bei aller Selbstsucht und Grausamkeit war Minnie die Munterkeit in Person gewesen, sodass es fast einem Verbrechen gegen die Natur gleichkam, dies Leben beendet zu haben.
    Cahoon tat ihr in tiefster Seele leid. Als er ihr die Mitteilung überbracht hatte, schien er bis ins Mark getroffen zu sein, so, als
habe er einen Teil seiner selbst verloren. Sie hätte ihn gern in seinem grenzenlosen Schmerz getröstet, doch hielt er ihn tief in sich verschlossen, wandte sich nicht nur von ihr ab, sondern verließ auch bald darauf den Raum, sodass sie allein zurückblieb. Diese Zurückweisung hatte sie verletzt und unendlich betrübt.
    Sie wollte mit niemandem sprechen. Noch schlimmer aber erschien es, weiter allein in ihrem Zimmer zu sitzen. Sie stand auf, trat ans Fenster und richtete den Blick auf die dicht belaubten Bäume, ohne sie bewusst wahrzunehmen. Wer hatte die unbegreifliche Tat begangen? Cahoon konnte es nicht gewesen sein. Minnie war der einzige Mensch auf der Welt gewesen, den er liebte. Sie hatten einander bei der kleinsten Anspielung verstanden, und Elsa konnte sich an ein Dutzend Gelegenheiten erinnern, wie die beiden miteinander gelacht, sich gemeinsam an etwas gefreut hatten, wie Menschen, die einander wahrhaft nahe sind. Sie hatte dergleichen nie erlebt. Ihr Vater hatte stets Abstand gehalten und Frauen als abhängige Wesen angesehen, von denen er nicht Freundschaft, sondern Trost, menschliche Wärme, Gehorsam und Tugendhaftigkeit erwartete.
    Diesem Frauenbild hatte Minnie in keiner Weise entsprochen. Nicht nur war sie selbstsüchtig, mutig und stark gewesen, sie war auch ganz wie ihr Vater von der unstillbaren Sehnsucht erfüllt gewesen weiterzukommen. Cahoon hatte mit ihr gestritten, sie aber zugleich bewundert. Wenn er eine Frau wie sie hätte heiraten können, wäre er glücklich gewesen.
    Hatte sich etwa Simnel zu der Tat hinreißen lassen, im Versuch, sich von der Verstrickung in seine Gefühle für Minnie zu befreien? Immerhin hatten sie ihn dazu gebracht, seine Frau, die er früher auf andere Weise geliebt hatte, zu hintergehen, und das nicht nur insgeheim, sondern auch öffentlich, weil es ihm nicht möglich gewesen war, seine Empfindungen für sich zu behalten.
    Es

Weitere Kostenlose Bücher