Die Tote von Buckingham Palace
viele Fragen gestellt.«
Sie war verblüfft. Gerade wollte sie jede Kenntnis abstreiten, als ihr einfiel, wie erregt Minnie am Vorabend vor ihrem Vater allerlei Andeutungen gemacht hatte. Auf sie hatte das so gewirkt, als habe sie etwas in Erfahrung gebracht, wovon sonst niemand etwas wusste. Sie hatte damit geradezu geprahlt; jeder am Tisch hatte das mitbekommen. Hatte jemand Grund zu der Befürchtung gesehen, sie stehe im Begriff, die ganze Wahrheit zu erfahren und ans Licht zu bringen?
Pitt sah Elsa an. Sie musste ihm Rede und Antwort stehen.
»Nein. Sie hat beim Abendessen Andeutungen gemacht, die ich aber nicht verstand. Mir kam das alles so …« Sie suchte nach dem treffenden Wort. »… undurchsichtig vor. Ich war der Meinung, dass sie sich aufspielen, im Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit stehen wollte. Es … tut mir wirklich leid.«
Damit bekannte sie ihre Schuld. Sie hatte nicht genau hingehört, nicht wohlwollend geurteilt und nicht einmal den Versuch unternommen, ihre Stieftochter zu lieben. Offen gestanden hatte sie Minnie nie besonders gut leiden können. Wie wäre das auch möglich gewesen, da sie in Julius verliebt war? Minnie allerdings trug an nichts von all dem die Schuld.
Sie sah Pitt in die Augen, erkannte darin mehr Verständnis, als ihr lieb war, und wandte sich ab.
»Können Sie sich an etwas von dem erinnern, was sie gesagt hat?«, fragte er.
»Es klang alles so unsinnig.« Sie versuchte, sich Minnies Worte ins Gedächtnis zu rufen. »Es ging wohl um Porzellan, darum, dass viel geputzt wurde und wie sehr ihr Vater den Kronprinzen unterstützt hatte. Glauben Sie, dass sie wirklich wusste, wer die Frau umgebracht hat?« Sie hoffte, dass es so war, betete im Stillen
zu Gott, dass es sich so verhalten möge. Dann hätte es nichts mit Julius oder Olga zu tun. Wäre es doch nur so!
»Sind Sie anderer Ansicht?«, fragte er leise.
»Nun … ich nehme an … außer es ist … nein, so wird es wohl sein.« Sie war unsicher. Warum redete sie so viel? Das war töricht. Es dürfte klüger sein, den Mund zu halten.
»Hatte denn ein anderer Grund zu der Tat?«
Sie sah rasch zu ihm auf. In seinen Augen lag Mitgefühl. Es lief ihr eiskalt über den Rücken. War es denkbar, dass er über Minnie und Simnel Bescheid wusste? Verdächtigte er Julius?
»Hatte jemand Grund dazu?«, fasste er nach.
War er bereits über die Affäre im Bilde? Wenn sie log, um sie zu vertuschen, wäre ihm klar, dass sie Julius zu decken versuchte. Das würde ihm sicherlich verdächtig vorkommen. Minnie war ihre Stieftochter, auf ihre Seite musste sie sich stellen. Zumindest musste sie sich den Anschein geben. Andererseits wusste jeder von der Affäre. Irgendjemand würde es ihm sagen, wenn das nicht bereits geschehen war. Sofern sie Unwissenheit heuchelte, würde Pitt wissen, dass sie log.
»Vielleicht Wut?«, sagte sie zögernd. »Mr Marquand fühlte sich … zu ihr hingezogen. Ich kann nur mutmaßen, wie weit das ging, aber es war wohl eine intensive Empfindung, jedenfalls eine Zeit lang.« Es klang prosaisch, wie sie auf diese Weise die Leidenschaft zu etwas Alltäglichem zurechtstutzte. »Bedauerlicherweise kommt so etwas immer wieder vor«, fügte sie hinzu. »Aber wegen einer solchen Geschichte bringt man doch niemanden um. Man weint vielleicht oder schlägt auf andere Art und Weise um sich. Am besten bewahrt man so viel Haltung, wie man kann, und verlässt sich darauf, dass es vorübergeht. Ganz davon abgesehen, Mr Pitt, war das kein Grund, die andere Frau umzubringen, die mit unseren Privatangelegenheiten nicht das Geringste zu tun hatte. Keiner von uns hatte sie je gesehen oder von ihr gehört. Sie haben vorhin gesagt, dass Minnie Fragen gestellt hat, die Sie zu der Annahme veranlasst haben, sie könne sich denken, wer die Ärmste getötet hat. Hat man sie nicht womöglich deswegen umgebracht?«
»Gut möglich«, sagte er. »Meine eigenen Nachforschungen haben ergeben, dass sie den größten Teil des gestrigen Tages damit zugebracht hat, Dienstboten Fragen zu stellen, und es sieht ganz so aus, als sei sie dabei auf etwas gestoßen, was sie in große Erregung versetzt hat, so, als habe sie die Lösung gefunden.«
»Und Sie meinen …« Sie schluckte. »Sie meinen, dass sie das jemandem auf den Kopf zugesagt hat?«
»Meiner Vermutung nach war jemandem klar, dass sie etwas wusste«, sagte er.
»Ich weiß nicht, wer es getan hat.« Kaum hatte sie das gesagt, als sie begriff, dass ihre Worte übereilt
Weitere Kostenlose Bücher