Die Tote von Buckingham Palace
einige Worte mit Ihnen wechseln zu können«, gab er zur Antwort, ohne sie zu fragen, ob ihr das recht sei.
»Ich hatte angenommen, Sie seien sicher, dass Julius der Täter
ist.« Sie errötete, fuhr aber fort: »Jedenfalls hat sich Cahoon in diesem Sinne geäußert. Der Arme ist von Kummer buchstäblich zerfressen. Es wundert mich, dass er sich damit begnügt hat, ihn nur durchzuprügeln.«
Sie wandte sich ab und ließ den Blick über die sauberen Beete und die tadellos gepflegten Rasenflächen gleiten. Man hörte das leise Summen von Bienen, und von Zeit zu Zeit trug die leichte Brise einen süßlichen Duft herüber. »Da sieht man wieder einmal, wie dünn bei uns Menschen der Firnis der Zivilisation ist. Erstaunlich, was für Abscheulichkeiten darunter zum Vorschein kommen können.«
»Es sieht ganz so aus, als habe Mrs Sorokine an diesem dünnen Firnis gekratzt«, gab er zur Antwort. Sie hatte ihm genau das richtige Stichwort geliefert.
Ihre Schultern spannten sich. Er sah, dass an ihrem Hals eine Ader pochte. »Wollen Sie damit sagen, dass sie umgebracht worden ist, weil sie in einem von uns etwas erkannt hat, womit er nicht leben konnte – und er nicht zulassen konnte, dass sie mit diesem Wissen weiterlebte?«
»Ja. Denken Sie nicht?«, fragte er zurück.
»Vermutlich ist das die einzige Lösung, die einen Sinn ergibt.«
»Hatte sie schon früher die Angewohnheit, die Handlungsweise von Menschen zu ergründen?«, fragte er. »Gestern hat sie ziemlich viele Fragen gestellt, vor allem dem Palastpersonal.«
Sie krauste die Stirn. »Ach ja, tatsächlich? Davon wusste ich gar nichts. Ich habe sie kaum gesehen. Auf jeden Fall hat sie beim Abendessen eine ganze Reihe von Anspielungen gemacht. Man hätte glauben könne, sie wolle jemanden mit voller Absicht reizen. Ich hatte angenommen, dass sich das gegen ihren Vater richtete, aber wie es aussieht, ging es wohl um Julius.«
»Hat sie vor dem Abendessen mit Ihnen gesprochen? Oder wissen Sie, ob sie mit sonst jemandem gesprochen hat?«
Sie überlegte einige Augenblicke. Ein Schmetterling, der über einem Beet schwebte, ließ sich auf einer Blüte nieder. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund.
»Sie hat Cahoon gefragt, ob er dem Kronprinzen Wein mitgebracht habe«, sagte sie schließlich. »Dann hat sie diese Frage auch Mr Marquand gestellt.«
»Und hatte einer von Ihnen das getan, so weit Ihnen bekannt ist?«
»Nein. Vermutlich war es Cahoon. Wäre Julius der Geber gewesen, hätte sie entweder die Antwort bereits gewusst oder ihn danach gefragt.«
Also hatte Mrs Sorokine über die Portweinflaschen Bescheid gewusst oder zumindest erraten, wozu sie gedient hatten!
»Danke, Mrs Quase.«
Sie sah ihn fragend an. »Was hat Wein, den jemand mitgebracht haben soll, mit der Sache zu tun? In den Kellern des Palasts hier lagern bestimmt Unmengen der besten Weine auf der Welt.«
»Ich glaube, Mrs Sorokine war eher an den Flaschen als an deren Inhalt interessiert. Hat sie Ihnen gegenüber zerbrochenes Porzellan erwähnt?«
»Nein. Warum?« Ein leichter Schauer überlief sie. »Welche Rolle spielt das jetzt noch, Inspektor? Ist die Sache denn nicht vorüber? Die arme Minnie hat zu viele Fragen gestellt und etwas herausbekommen, was sie besser nicht in Erfahrung gebracht hätte. So etwas ist töricht. Man kann Menschen, die man liebt, vor kleinen Gefahren bewahren und vor unbedeutenden Fehlern schützen, aber nicht davor, ermordet zu werden. Ich nehme an, er ist verrückt.« Sie wandte den Blick ab und ließ ihn erneut über die Blumen schweifen. »Ich kannte Julius schon vor Minnie, müssen Sie wissen. Ich hätte ihn heiraten können, aber mein Vater war dagegen. Vielleicht war er klüger als ich.« In ihrer Stimme lag ein überraschend deutlicher Schmerz.
»War das in Afrika?«, fragte er.
Sie spannte sich kaum wahrnehmbar an. Mit belegter Stimme sagte sie so leise, dass er es kaum hörte: »Ja.«
Ihm fiel ein, dass ihr Bruder dort umgekommen war. War das der Grund für ihre plötzliche Trauer? »Und dann sind Sie Mr Quase begegnet und haben ihn geheiratet«, sagte er. »Meinen Sie,
Ihr Vater hat etwas über Mr Sorokines Wesen gewusst und Ihnen deshalb von einer Verbindung mit ihm abgeraten?«
»Darüber hat er nichts gesagt. Es … es war für uns eine schwierige Zeit. Mein Bruder ist unter schrecklichen Umständen ums Leben gekommen … im Fluss.« Es kostete sie erkennbar Mühe, diese Worte zu sagen. »Hamilton hat sich einfach großartig verhalten. Er hat
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