Die Tote von Buckingham Palace
das an ihr am meisten geliebt.
Ob Minnie Julius doch geliebt hatte und die ganze Affäre mit
Simnel lediglich den Zweck gehabt hatte, ihn zu einer Reaktion herauszufordern, seine Eifersucht anzustacheln, wenn schon nicht seine Liebe? Arme Minnie: zu stolz und zu leidenschaftlich, als dass sie hätte bitten können. So einsam, dass sie sich niemandem anvertrauen konnte, und vielleicht zu sehr durch die einzige Zurückweisung in ihrem Leben verletzt, die sie geschmerzt haben mochte. Nichts in ihrem früheren Leben hatte sie darauf vorbereitet, und womöglich hatte sie keine Träume, aus denen ihr Kraft hätte zuwachsen können.
Von Elsa hatte sie nichts anderes zu erwarten gehabt als Rivalität. Wie kläglich, wie klein und unendlich selbstsüchtig sie jetzt dastand! Sie schämte sich, doch es war zu spät.
Liliane sah sie mit ihren schönen, aufmerksamen Augen an. Sie brauchte keine in Worte gefassten Antworten, um zu verstehen.
Der Aufruhr, der in Elsa tobte, hatte seinen Ursprung zum Teil in ihrer Eifersucht, wie sie sich mit einer Art bitterem Spott über sich selbst eingestand. Julius hatte Liliane den Hof gemacht und sie an Hamilton Quase verloren. War das von Anfang an der Kern des Problems gewesen? War er seinen Gefühlen für sie stets treu geblieben, und hatte Minnie das gewusst, und lediglich Elsa hatte das nicht begriffen?
»Es lässt sich nichts ändern«, sagte Liliane freundlich. »Sie können nichts tun, höchstens die Dinge noch verschlimmern.«
»Damit haben Sie vermutlich recht«, stimmte ihr Elsa zu, im Bewusstsein, dass sie nicht davon überzeugt war. Lieber wollte sie die Wahrheit wissen, als dass sie kampflos aufgab, selbst wenn sich dabei herausstellen sollte, dass Julius schuldig war. Rasch lenkte sie das Gespräch auf ein anderes, völlig belangloses Thema.
Liliane schien darüber erleichtert zu sein.
Alle zogen sich früh zurück. Es gab nichts zu sagen. Die Männer sprachen nicht einmal mehr über Afrika. Alles, was sie stattdessen sagten, wirkte gestelzt und absurd. Julius’ und Minnies Abwesenheit war wie ein gähnender Abgrund, um den jeder auf Zehenspitzen
herumschlich – einerseits hatten alle Angst hineinzufallen, andererseits wurden sie alle davon angezogen.
Als Elsa ging, merkte sie voll Unbehagen, dass Cahoon ihr auf dem Fuß folgte, sodass er fast auf den Saum ihres Kleides getreten wäre, als sie ihr Schlafzimmer aufsuchte. Er schickte die wartende Bartle hinaus und schloss die Tür hinter ihr.
Elsa trat unwillkürlich einige Schritte zurück, weil sie Angst hatte. Sogleich ärgerte sie sich darüber. Sie stand dicht vor dem Bett, er hätte sie mühelos mit einem einzigen Stoß darauf werfen können, und es gab nun keine Ausweichmöglichkeit mehr für sie. Sie war nicht bereit, als Erste zu sprechen, denn ihr war klar, dass er auf ein Zeichen wartete, dass sie nachgab, das Bedürfnis hatte, ihn zu besänftigen.
»Du machst dich zum Narren, Elsa«, sagte er kalt. »Wenn du deinen Ruf zugrunde richten willst, soll es mir recht sein. Du musst wissen, was du tust. Aber noch bist du meine Frau, und ich dulde keine hysterischen Anfälle. Solltest du deine Vorstellungskraft nicht zügeln können, wenn wir den Palast verlassen haben, wird man sich um dich kümmern müssen. Vielleicht in einer dafür geeigneten Anstalt, wo du keinem von uns schaden kannst.«
An seinen Augen erkannte sie, dass es sich um keinen vorübergehenden Wutausbruch handelte, sondern um eine ernst gemeinte Drohung. Sie merkte, dass ihr die Knie zitterten, und es fiel ihr schwer, aufrecht stehen zu bleiben und ihm in die Augen zu sehen.
»Du meinst eine Irrenanstalt, wie du sie für Julius vorgesehen hast«, murmelte sie. »Das könnte dir so passen. Damit wäre für dich der Weg frei, dich mit Amelia Parr zu amüsieren, ohne dass ich euch stören könnte.«
»Du störst uns nicht«, gab er zur Antwort, als existiere sie für ihn längst nicht mehr. »Du solltest die Finger von den Mordfällen lassen, sonst erfährst du eine ganze Menge mehr über Julius, als dir lieb sein kann.« Es sah aus, als ob er sich insgeheim über sie lustig machte, weil er sie so lächerlich fand.
In diesem Augenblick beschloss sie, ihm entgegenzutreten.
Das hatte nichts mit Julius zu tun: es ging um sie selbst, darum, so zu sein, wie sie sein wollte. Sie wollte nicht länger in ihren eigenen Bedürfnissen und Befürchtungen gefangen sein, sondern an andere denken, sich der Möglichkeit stellen, dass Minnie hinter ihrer
Weitere Kostenlose Bücher