Die Tote von Buckingham Palace
»Ich meine damit, dass Minnie das alles mithilfe einer Handvoll Porzellanscherben und Blutflecken auf ein paar Bettlaken herausbekommen hat?«
Liliane wandte ihr den Rücken zu. Das Licht schimmerte auf ihrem aufgesteckten Haar, das sie, der Situation entsprechend, ohne Schmuck trug. Die Haut ihrer Schultern war makellos.
»Ich ahne es nicht«, gab sie zur Antwort. »Sie hat sich mir nie anvertraut.«
Elsa war nicht bereit, sich damit abspeisen zu lassen. »Das hatte ich nicht angenommen. Falls sie es überhaupt jemandem gesagt
hätte, dann ihrem Vater. Ich überlege nur, ob das wahrscheinlich oder auch nur möglich ist. Woher sollte sie als Einzige von dem Porzellan erfahren haben?«
»Ich weiß es nicht.« Liliane wandte sich ihr zu. »Ich begreife ja, dass Minnies Tod Sie mitgenommen hat und die Sache für Sie ein wenig erträglicher würde, wenn Sie die Hintergründe verstehen könnten. Jeder von uns würde sich in dem Fall etwas weniger hilflos fühlen, aber ich habe wirklich keine Vorstellung von dem, was geschehen ist. Das Ganze scheint mir keinerlei Sinn zu ergeben, und ich bin auch nicht sicher, ob wir je erfahren werden, dass es einen gibt. Es tut mir wirklich leid.«
Elsa war fest überzeugt, dass das eine Lüge war. Liliane hatte unübersehbar Angst. Sie war in ihren Augen zu erkennen, dem starren Blick, und an der Art, wie sie dastand, als ob sie darauf wartete, sich in eine andere Richtung wenden zu können, die Sicherheit versprach.
»Sie glauben aber doch nicht, dass es Julius war, oder?«, fragte Elsa unvermittelt. Im selben Augenblick begriff sie, dass sie das zu schnell gesagt hatte. Mit ihrer Impulsivität hatte sie den Vorteil verspielt, den sie besessen hatte.
»Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass ich keine Ahnung habe«, wiederholte Liliane geduldig. »Wenn ich etwas wüsste, hätte ich es dem Polizisten gesagt. Ich weiß nicht einmal, wie er heißt.«
Auch das war eine Lüge, und zwar eine offenkundige. Vielleicht sah Liliane beiseite, weil ihr das selbst klar war.
»Was war eigentlich mit der Frau, die da in Afrika umgebracht worden ist?«, fragte Elsa übergangslos. »Sie waren doch dort. War es ebenso wie bei den beiden hier?«
Liliane war bleich. »Soweit ich gehört habe, ja. Das muss aber nicht bedeuten, dass es dafür die gleichen Gründe gab.«
»Ich bitte Sie!«, sagte Elsa scharf. »Halten Sie mich doch nicht für dumm. Hamilton, Julius und Simnel waren dort, und deshalb muss es auch hier einer von den dreien gewesen sein.«
Erneut wandte sich Liliane mit ungewollt elegantem Schwung
ihres Rocks ab. »Wahrscheinlich.« Es klang nicht überzeugt, fast gleichgültig.
Wovor sie wohl Angst haben mochte? Eigentlich konnte es lediglich die Sorge sein, dass Hamilton Quase der Täter war. Oder gab es da ein Geheimnis, das sie ängstlich hütete? Dunkeld hatte gesagt, früher sei einmal die Rede davon gewesen, dass sie Julius heiraten wollte, ihr Vater aber habe sich dagegen ausgesprochen. Als sich dann Quase nach dem Tod von Lilianes Bruders so hilfreich und verständnisvoll gezeigt habe, habe sie sich in ihn verliebt.
Möglicherweise war er ein weit besserer Mensch als Julius: ehrenwert, mitfühlend und treu – lauter Eigenschaften, von denen Elsa wusste, dass Liliane sie bewunderte. Welche Rolle spielte es dann, wenn das Lächeln eines Menschen einen in Unruhe versetzte, das Herz schneller schlagen und die Hände zittern ließ? So etwas war Besessenheit und verdiente nicht, im selben Atemzug wie Liebe genannt zu werden.
Liliane sah sie erneut an. Ihre Züge wirkten sanfter, fast so, als empfinde sie in diesem Augenblick Mitleid. »Minnie muss mit ihrem Vater gesprochen haben«, sagte sie ruhig. »Wer außer ihr hätte ihm sagen können, dass sie all diese Fragen gestellt und was sie herausbekommen hatte? Vielleicht haben sich die Anspielungen beim Essen am Vorabend ihres Todes auf diese Dinge bezogen. Sicher hat sie ihn damit gereizt. Das ist Ihnen doch wohl aufgefallen.«
»Wozu?« In Elsas Kopf jagte ein wilder, unausgegorener Gedanke den anderen. Hatte Minnie erfahren, dass Julius der Täter war? Oder hatte sie ihrem Vater gesagt, sie werde sich für Julius einsetzen, ganz gleich, ob sie ihn liebte oder nicht, weil sie befürchtet hatte, Cahoons Hass werde ihn dazu bringen, Julius als Schuldigen hinzustellen und zu diesem Zweck, wenn es nicht anders ging, auch die Beweismittel zu manipulieren? Sie hatte als Einzige nie Angst vor Cahoon gehabt. Vielleicht hatte er
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