Die Tote von Buckingham Palace
solche Leute gewöhnlich damit auf, ohne dass man ihnen in den Arm fällt?«
»Meiner Erfahrung nach nicht.«
»Dann ist es doch sicher besser, dafür zu sorgen, dass er gefasst wird, als ihn weitermachen zu lassen«, sagte Dunkeld. »Sie haben ihn aber nicht gefasst.«
»Ich war auch nicht in Afrika.«
»Ihre Überheblichkeit ist köstlich!« Fast hätte Dunkeld laut gelacht. »Und Sie meinen also, wenn Sie dort gewesen wären, hätten Sie etwas zustande gebracht? Sie haben ihn ja nicht einmal hier im Palast fassen können, wo er nur einer von dreien war.«
»Bestand ein Zusammenhang zwischen dem Limoges-Porzellan und seiner … Besessenheit?«, fragte Pitt.
»Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich damit Seiner Königlichen Hoheit einen Gefallen getan habe und die Sache nichts mit Sorokine zu tun hat«, sagte Dunkeld mit belegter Stimme. »Den Rest werden Sie sich selbst zusammenreimen müssen, oder Sie bleiben eben unwissend. Ich habe eine Menge zu tun. Ungeachtet des Todes meiner Tochter wird das Bahnprojekt weiterbetrieben, und ich muss einen Ersatz für Sorokine finden. Vermutlich werde ich Sie nicht wiedersehen. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.« Ohne auf Pitts Reaktion zu warten, machte er auf dem Absatz kehrt und ging davon.
Narraway kam kurz vor zehn Uhr. Er wirkte nicht nur übermüdet, sondern auch unzufrieden. Sein tief zerfurchtes Gesicht stand in sonderbarem Kontrast zu seinem makellosen Anzug. Er teilte Pitt sogleich mit, was er in Erfahrung gebracht hatte und dass der Mord in Kapstadt dem an Sadie in vielen Einzelheiten glich. Über Julius Sorokine wusste er nichts zu sagen, was von Bedeutung gewesen wäre.
Sie waren allein in Pitts Arbeitsraum. Draußen schien die Sonne, doch wegen der geschlossenen Fenster war die Luft im Raum abgestanden. Narraway saß Pitt gegenüber und hatte lässig die Beine übereinandergeschlagen.
Pitt merkte, dass er enttäuscht war, von Narraway nichts erfahren zu haben, was der Sache eine andere Wendung hätte geben
können. Er war mit sich unzufrieden wegen seiner unprofessionellen Haltung, einen Mann wie Dunkeld so sehr zu verabscheuen, dass er wünschte, er habe eine solche Tat begangen. Auch dass er Sorokine – oder vielmehr Mrs Dunkeld gut leiden konnte wegen ihrer Verletzlichkeit und ihres immerwährenden Bemühens, genug Mut aufzubringen, war ihm nicht recht. Irgendetwas an ihr erinnerte ihn an Charlotte. Möglicherweise war es nichts weiter als die Form ihrer Schultern oder die Art, wie sie den Kopf drehte, doch genügte das, um in ihm einen Beschützerinstinkt zu wecken. Menschen ihre Illusionen zu nehmen war eine der tiefsten Verletzungen, die man ihnen zufügen konnte.
»Eine so große Ähnlichkeit zwischen den Fällen kann kein Zufall sein«, sagte Narraway schließlich. »Wer auch immer der Mörder von Kapstadt war, er hat Sadie und auch Minnie Sorokine auf dem Gewissen. In diesem letzten Fall war der Grund für die Tat wahrscheinlich, dass das Opfer den Mann kannte und für ihn eine Bedrohung bedeutete. Vermutlich hat er seine übliche Art zu töten entweder zwanghaft eingesetzt oder sozusagen als Markenzeichen.«
»Zwanghaft«, sagte Pitt, und dann berichtete er Narraway, was er inzwischen über das Limoges-Porzellan herausgefunden und was er von Mrs Dunkeld in dem Zusammenhang erfahren hatte.
»Und das nehmen Sie ihr ab?«, fragte Narraway mit kaum verhülltem Zweifel. Er beugte sich vor. »Lassen wir einmal persönliche Dinge wie auch Vorlieben und Abneigungen beiseite. Meinen Sie nicht, dass die Porzellansplitter eher von einem anderen Gegenstand stammen und der Tafelaufsatz in den Privatgemächern der Königin überhaupt nicht in Stücke gegangen ist? Elsa Dunkeld dürfte weit mehr Grund haben, als Sie vermuten, ihren Mann zu hassen.«
»Einmal angenommen, es war wirklich unerheblich – warum hat dann der Kronprinz nicht einfach die Wahrheit gesagt?«, gab Pitt zu bedenken. »Tyndale war nicht bereit, über die Sache zu sprechen, und jetzt hat Dunkeld eingeräumt, dass er einen solchen Tafelaufsatz mitgebracht hat, allerdings, wie er behauptet,
für den Prinzen. Er hat erklärt, seine Ehre verbiete es ihm, die Gründe dafür offen zu legen.«
Narraway verzog leicht angewidert das Gesicht. »Weil es dabei mitunter um nicht immer ganz saubere Angelegenheiten geht und das den Leuten peinlich ist«, sagte er mit einem Anklang von Bedauern.
Pitt war damit nicht zufrieden. »Ich möchte die Sache noch einmal Schritt für Schritt
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