Die Tote von Buckingham Palace
schlechten Meinung enttäuscht, die Mrs Newsome von ihm wohl hatte, wenn sie zu einer solchen vorschnellen Schlussfolgerung fähig war.
Gracie sah es als ihre Pflicht an, sich gleichsam schützend vor ihn zu stellen. Immerhin war er ausschließlich deshalb in diese Situation geraten, weil er sich bemühte, sein Versprechen zu halten. Der Fall stand kurz vor dem Abschluss. Jetzt kam es nicht mehr darauf an, ob sie sich Mrs Newsomes Feindschaft zuzog oder nicht, und so fasste sie einen Entschluss. »Mr Tyndale, se muss es auch wissen«, sagte sie ernst. »Ich bin bestimmt nich’ undankbar, aber wir komm’ ohne Mrs Newsomes Hilfe nich’ weiter. Wir könn’ es uns nich’ leisten, einfach zu hoffen, dass alles gut geht – dazu is’ nich’ genug Zeit.«
Er nickte sehr langsam. »Ich verstehe.« Er sah über ihren Kopf hinweg zu Mrs Newsome hin. »Würden Sie bitte die Tür schließen?
Ich befinde mich in einer gewissen Zwickmühle. Wenn ich mich nicht in eine noch schlimmere Situation bringen will, muss ich Ihnen etwas sagen, worüber ich strengstes Stillschweigen zu wahren gelobt habe. Wenn es sich schon nicht vermeiden lässt, möchte ich das mit so wenig Aufsehen wie möglich tun.« Mrs Newsome zwinkerte rasch. Zwar war ihr Gesicht nach wie vor hochrot, doch schien sie sich ihrer selbst schon deutlich weniger sicher zu sein. Gehorsam schloss sie die Tür, hielt sich aber nach wie vor so weit wie möglich von dem Oberdiener entfernt. Die Atmosphäre in dem kleinen Raum war überaus gespannt.
»Mrs Newsome«, setzte Tyndale an. Nach einem kurzen Blick auf Gracie fuhr er fort: »Miss Phipps übt ihre Tätigkeit hier im Palast im Auftrag des Staatsschutzes aus. Dessen Leiter, Mr Narraway, hat mich gebeten, sie einzustellen, ohne jemandem ein Wort über den wahren Grund ihrer Anwesenheit zu sagen, damit sie Inspektor Pitt ungehindert und ungefährdet bei seiner Aufgabe unterstützen kann, die Wahrheit über den Mord zu ermitteln.« Er sprach zu rasch und musste Luft holen. »Gewiss, sie hat den Anschein erweckt, sich Freiheiten herauszunehmen, doch das war erforderlich, damit sie ihre eigentliche Aufgabe erfüllen konnte. Da sie sich außer mir niemandem anvertrauen durfte, musste sie die Möglichkeit haben, unter vier Augen mit mir zu sprechen. Ada ist eine Wichtigtuerin, die niemandem die Butter auf’m Brot gönnt, und ein altes Lästermaul obendrein. Wenn jemand entlassen werden müsste, dann sie.«
Mrs Newsome sah Gracie an, als sei diese soeben aus einem Apfel auf dem Dessertteller gekrochen, und wandte sich dann wieder Mr Tyndale zu. »Aha. Jetzt versteh ich, warum se immer … so indiskret war. Mir will aber nicht in den Sinn, wieso Sie gemeint haben, mir die Wahrheit vorenthalten zu müssen. Nach all den Jahren, die wir zusammenarbeiten, könnten Se ruhig mehr Vertrauen zu mir haben. Se hätten sich denken können, dass Ihre Geheimnisse bei mir sicher sind.« Sie wandte sich um und legte die Hand auf den Türknauf, um zu gehen.
»Es war nicht meine Entscheidung, Mrs Newsome«, gab Tyndale
kläglich zu bedenken. »Man hat mich ausdrücklich aufgefordert, das nicht zu tun.«
Sie blieb mit dem Rücken zu ihm stehen. Ihre Stimme zitterte. »Und haben Se was dagegen gesagt? Bin ich nich’ auch vertrauenswürdig und genauso verlässlich wie Sie?«
Er gab keine Antwort. Er hatte zu Narraway nichts von all dem gesagt, weil er damals voller Besorgnis gewesen war und sogar Angst gehabt hatte.
Gracie seufzte. Eine fürchterliche Situation, und völlig überflüssig. »Mrs Newsome, Ma’am«, sagte sie leise. »Wenn Se nett zu mir gewes’n wär’n, wie wenn alles in Ordnung wär, hätt’ jemand wie Ada gleich gewusst, dass was nich’ stimmt, und se wär sicher dahintergekomm’. Ers’ wie Mrs Sorokine umgebracht worden is’, schien klar, wer’s getan hat, und ehrlich gesagt, sind wir auch jetzt noch nich’ ganz sicher. Da fehlt noch was – zum Beispiel wissen wir nich, was in der Kiste war, die für Mr Dunkeld in der Nacht gekomm’ is’, wie die arme Sadie umgebracht wurde. Edwards hat geholfen, se raufzutragen. Wir wissen auch nich’, was drin war, wie se wieder runtergebracht worden is.«
Mrs Newsome wandte sich ihr zu und sah sie aufmerksam an. Allmählich gewann ihr Gesicht wieder das ursprüngliche Aussehen; nur zwei rote Flecken auf den Wangen blieben. Dann richtete sie den Blick auf Mr Tyndale, holte tief Luft und stieß sie schweigend wieder aus.
»Wir müssen das rauskriegen«, sagte
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