Die Tote von Buckingham Palace
dem Rücken zum Fenster in seinem Arbeitszimmer, das er am nächsten Morgen würde räumen müssen. Es war früher Nachmittag, und die Zeit begann ihm davonzulaufen. Schon sehr bald würde der Kronprinz ihm und Narraway offiziell danken, womit sie von ihrer Aufgabe entbunden wären.
Narraway stand am Tisch, das Gesicht dem Licht zugekehrt. Er sah müde aus und wirkte nach wie vor angespannt.
»Wir müssen wissen, wer die Frau in der Kiste war«, fuhr Pitt fort, »wer sie getötet hat, und möglichst auch, wo das geschehen ist.«
»Nun, Dunkeld kann es nicht gewesen sein«, bemerkte Narraway. »Er hat den Palast keinen Augenblick lang verlassen. Mithin kommt entweder der Fuhrmann infrage oder derjenige, der ihn beauftragt hat, die Frau herzubringen.«
»Dunkeld hat Sadie in seine Dienste genommen«, fuhr Pitt fort. »Er muss ihr ziemlich viel darüber gesagt haben, wie die Geschichte seiner Vorstellung nach weitergehen sollte. Wo mag sie zurzeit sein? Vermutlich hält sie sich verborgen, und das kann nur bedeuten, dass er sie gut bezahlt hat.« Weitere Gedanken jagten sich in seinem Kopf. »Wem hätte er so sehr vertraut, dass er ihm den Auftrag gegeben hätte, eine Kiste mit einer weiblichen Leiche darin in den Buckingham-Palast zu bringen? Hätte er das Risiko auf sich genommen, das darin lag, dass der Mann nicht wusste, was er da transportierte?«
Narraway überlegte einen Augenblick. »Das wäre verteufelt gefährlich gewesen«, sagte er schließlich. »Er ist zwar eine Spielernatur, aber sicher kein Dummkopf, und daher hätte er unbedingt versucht, so viele Gefahren wie möglich auszuschließen. Mithin nehme ich an, dass der Fuhrmann mit ihm im Bunde gestanden oder die Frau sogar selbst umgebracht hat.«
»Und Dunkeld hätte sie erst hier im Palast aufgeschlitzt?«, fragte Pitt. »Seiner Tochter hat er vermutlich das Genick gebrochen, mit großer Wahrscheinlichkeit ohne Absicht. Danach hat er ihr die Kehle durchgeschnitten, damit es auf keinen Fall wie ein Unfall aussah, sondern wie ein Mord. Deshalb waren die Verletzungen der beiden Frauen einander so ähnlich.«
Narraway presste die Lippen zusammen, bis von seinem Mund nur noch eine dünne Linie zu sehen war. »Und zwar erst, nachdem er Sorokine halb totgeprügelt hatte, damit dessen Gesicht möglichst viele Platz- und Schürfwunden aufwies und er eine plausibel klingende Erklärung für seine eigenen Verletzungen hatte, die ihm seine Tochter im Zuge ihrer Gegenwehr zugefügt hatte. Ein gerissener Hund. Aber wer mag der Komplize sein? Nur gut, dass wir ihn nicht zu finden brauchen, um für Dunkeld ein Urteil zu erwirken.«
Pitt hob ruckartig den Kopf. »Das ist zwar richtig, trotzdem möchte ich ihn haben! Sie wollen doch wohl nicht sagen, dass er die Frau zufällig genau zu dem Zeitpunkt tot aufgefunden hat, als er gerade eine weibliche Leiche brauchte? Zu allem Überfluss mit der passenden Körpergröße und Figur, der richtigen Haar- und Augenfarbe sowie einem möglichst ähnlichen Gesicht. Außerdem durfte sie weder Hautausschlag noch Knochenbrüche oder fehlende Zähne haben und auch keine Narben oder sonstige Entstellungen aufweisen. Als Todesursache durften nur die Verletzungen infrage kommen, die wir gesehen haben. Unter Umständen hat ihr der Kerl das Genick gebrochen, um sicherzugehen, dass kein Blut aus der Kiste lief, auf jeden Fall aber hat er sie haargenau entsprechend Dunkelds Vorgaben getötet. Ich werde keine Ruhe geben, bis ich ihn habe.« Er meinte das als warnenden Hinweis an Narraway.
»Und wie wollen Sie das anstellen?«, fragte dieser. »Falls Sie übrigens jemanden hier noch etwas fragen wollen, sollten Sie das besser gleich tun; Sie werden hier nie wieder Zutritt bekommen.«
»Auch nicht, um die Spur des Mörders zu verfolgen?«
Narraway lachte kurz auf. »Nicht einmal dann, wenn Ihr Leben davon abhinge, Pitt. Die Lösung des Falles, die Sie gefunden haben, gefällt dem Prinzen in keiner Weise.«
»Ich habe es mir nicht ausgesucht!«, begehrte Pitt auf. »Der Kronprinz hat mit Dunkeld eben auf das falsche Pferd gesetzt.«
»Ein kapitaler Fehler«, gab ihm Narraway recht. »Eigentlich ganz und gar unverzeihlich. Aber machen Sie sich nichts vor: Er wird Ihnen nie vergeben, dass Sie ihn das haben spüren lassen! Jetzt muss er Watson Forbes gegenüber zugeben, dass er einen Fehlgriff getan hat, und das behagt ihm bestimmt nicht.«
»Ob Forbes das Angebot annehmen wird? Hatten Sie nicht gesagt, er habe sich vollständig aus
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