Die Tote von Buckingham Palace
dem aktiven Leben zurückgezogen?«
Narraway biss sich auf die Lippe. »Ich hatte den Eindruck, dass er von dem Projekt nicht das Geringste hielt. Seiner Einschätzung nach wäre dessen Verwirklichung schlecht für Afrika und würde im Laufe der Zeit alles Schöne und Einzigartige auf dem Kontinent zerstören. Er hat mir gesagt, eine Bahnlinie wie die geplante würde Afrikas Herz zerschneiden und dessen Seele zerstören.«
»Mit genau den Worten?«
»Nein.« Es schien Narraway unangenehm zu sein, dass er seiner Vorstellungskraft die Zügel hatte schießen lassen. »Aber darauf lief es hinaus. Es ist ohne Weiteres möglich, dass er ablehnt.«
»Zwei Frauen umgebracht, für nichts und wieder nichts«, sagte Pitt nachdenklich. »Wir wissen nicht einmal, wer die erste war.«
»Die in Afrika?«
»Nein, ich weiß nicht einmal, ob die etwas mit der Sache zu tun hatte, abgesehen davon, dass sich Dunkeld dieser Tragödie bedient hat, um uns einzureden, dass Sorokine schuldig sein musste, während er sich selbst als Unschuldsengel präsentiert
hat. Ich meinte die Frau in der Wäschekammer, von der wir anfangs angenommen hatten, es sei Sadie. Wer war sie? Hat der Fuhrmann, der sie gebracht hat, sie ausschließlich für Dunkelds Zwecke getötet? War dem Mann klar, wozu die Leiche benötigt wurde? Oder ist er gar kein Komplize, sondern einfach ein Auftragsmörder, jemand, der gegen Bezahlung tötet?«
»Viel zu gefährlich. Es wäre von Dunkeld mehr als töricht gewesen, sich in die Hände eines solchen Mannes zu begeben«, sagte Narraway.
»Dann war der Mann also eingeweiht und musste überdies Sadie zumindest oberflächlich kennen, um eine Frau zu finden, die ihr hinlänglich ähnlich sah. Mithin haben wir es mit einem intelligenten, ausgekochten, einfallsreichen Mann mit stählernen Nerven zu tun, und nicht einfach mit einem gewöhnlichen Auftragsmörder.«
»So viel scheint auch mir nach Ihren Worten klar zu sein«, stimmte Narraway mit einem angedeuteten Lächeln zu. »Wir müssen ihn finden. Auf Dunkelds Mithilfe dürfen wir dabei nicht zählen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist der Fuhrmann derjenige, den wir suchen, aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er auch nur annähernd so aussieht wie der Mann, den die Dienstboten mit der Kiste gesehen haben. Seine Kleidung war unauffällig und verschmutzt, er trug einen Hut und fingerlose Handschuhe, wie viele, die ein Fuhrwerk lenken oder Kisten tragen. Zuerst sollten wir uns aber nach Sadie erkundigen …«
»Die dürfte verschwunden sein«, gab Pitt zu bedenken.
»Das ist mir auch klar«, knurrte Narraway. Es war ihm nicht recht, dass Pitt erkannte, wie viel Mühe es ihn kostete, sich zu beherrschen. »Ich meine, da, wo sie sich bis dahin aufgehalten hatte. Dunkeld hat sie mit Sicherheit in einem Bordell oder durch Vermittlung eines Zuhälters aufgetrieben. Irgendwo muss er sie kennengelernt haben. Was manche Dinge angeht, ist London nicht besonders groß. Andere Frauen kennen Sadie bestimmt. Vielleicht hat eine von ihnen den Fuhrmann gesehen.«
Pitt nickte. »Sofern der sich in London aufhält, finde ich ihn.«
Narraway fluchte. »Nur bleibt uns dafür möglicherweise nicht viel Zeit. Da Dunkelds Plan fehlgeschlagen ist, wird der ›Fuhrmann‹ untertauchen, sobald er erfährt, dass man Dunkeld gefasst hat. Er könnte sich sonstwohin absetzen: nach Liverpool, nach Schottland, Irland und sogar auf das europäische Festland. Ich werde bei der Polizei jeden auf den Mann ansprechen, den ich kenne. Nur gut, dass es so nützliche Erfindungen wie das Telefon gibt. Ich glaube nicht, dass wir hier noch mehr ausrichten können.«
Weniger als eine halbe Stunde später trat der Kronprinz, gefolgt von Watson Forbes, in den Salon. Auf den ersten Blick war zu erkennen, dass dieser dessen Angebot angenommen hatte. Kein Wort wurde darüber verloren, wie er es formuliert oder mit welchen zusätzlichen Anreizen er es ihm schmackhaft gemacht hatte. Obwohl Olga Marquand die Einzige war, die Forbes noch nicht kannte, wurden alle vorgestellt. Pitt wurde lediglich flüchtig erwähnt. Forbes sah kurz zu ihm hin, sagte aber nichts.
»Mr Forbes hat sich bereit erklärt, an Mr Dunkelds Stelle die Verantwortung für den Bau einer Bahnlinie vom Kap der Guten Hoffnung nach Kairo zu übernehmen«, verkündete der Kronprinz zufrieden lächelnd. »Niemand in ganz England eignet sich besser für diese Aufgabe, und mit großer Wahrscheinlichkeit ist er sogar der Einzige, dem das Unternehmen
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