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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nicht ausstehen. Zwar höre ich nicht, was er sagt, doch ich sehe es ihm an den Augen an. Nicht einmal in seinem Lachen liegt Wärme oder Freude. Er ist von einer tiefen inneren Wut zerfressen.«
    »Kennen Sie den Grund dafür, Ma’am?«, fragte er.
    Wieder schien sie nicht gehört zu haben, was er sagte. »Ganz im Unterschied zu mir hält der Kronprinz große Stücke auf ihn. Ich vermute, dass Mr Dunkeld ihn benutzt, um seine eigenen Pläne voranzutreiben. Natürlich ist ein solches Verhalten nicht ungewöhnlich. Man muss damit rechnen. Doch Seine Königliche Hoheit schätzt bestimmte Menschen bisweilen mehr, als mir gerechtfertigt erscheint. Er nimmt offenbar an, dass die Männer, mit denen er seine Mußestunden verbringt, seine Neigungen mehr teilen, als es der Fall ist.«
    Pitt erkannte in ihren Augen eine schreckliche Einsamkeit. Diese Frau lebte in einer Welt, in der ihr niemand ebenbürtig war, und da niemand ihr die Wahrheit zu sagen wagte, um nicht ihr Missfallen zu erregen, würde sie stets von einem dichten Gewebe aus Lügen umgeben sein. »Das tut mir leid«, sagte er aufrichtig.
    Offenbar hatte sie die Worte von seinen Lippen abgelesen. »Sie sind von vornehmem Wesen, Mr Pitt. Bitte vergessen Sie nie, auf welche Weise die arme Frau umgekommen ist und dass derjenige, dem Sie auf der Fährte sind, mit Ihnen genauso wenig Erbarmen haben würde wie mit ihr.«
    Er schwieg verblüfft.
    »Nehmen Sie unbedingt etwas Süßrahm zu Ihrem Gebäck«, ermunterte sie ihn. »Dann schmeckt es noch viel besser.«

    Mit einem »Danke, Ma’am« nahm er an. Er fühlte sich förmlich dazu verpflichtet. Das Gebäck war köstlich.
    »Verständlicherweise sind wir alle in höchstem Grade beunruhigt«, fuhr sie fort, als nehme sie ein Stichwort auf, das er gegeben hatte. Den Mund voll Gebäck, fragte er sich, ob sie auch nur im Entferntesten eine Vorstellung davon besaß, was wirklich geschehen war, von der Gewalttätigkeit, der nichts heilig war, die vor nichts zurückschreckte. »Keinem von uns ist es möglich, so zu tun, als sei nichts geschehen«, fuhr sie fort. »Aber es ist unsere Pflicht, weiterhin unseren Aufgaben nachzugehen. Finden Sie nicht auch?«
    Rasch schluckte er den Rest herunter, und da er ihr nicht gut widersprechen konnte, gab er ihr die einzige mögliche Antwort. »Gewiss, Ma’am. Jeder nach bestem Vermögen.«
    »Natürlich müssen bestimmte Änderungen vorgenommen werden. Noch ein wenig Tee? Eleanor, meine Liebe …«
    Die Hofdame goss seine Tasse voll, bevor er antworten konnte.
    »Danke«, sagte er rasch.
    »Es ist sehr freundlich von Ihnen, mir Ihre Zeit zur Verfügung zu stellen«, fuhr Prinzessin Alexandra fort. »Sicher haben Sie viel zu tun. Ich habe mir schon überlegt, ob die Sache in irgendeinem Zusammenhang mit dem Eisenbahnprojekt steht, halte das aber ehrlich gesagt für unwahrscheinlich. Offensichtlich sind alle sehr darauf erpicht, es zu verwirklichen, eventuell mit Ausnahme Mr Sorokines. Er hat etwas in der Richtung gesagt, aber leider habe ich das nicht vollständig gehört. Doch ich erinnere mich, dass auf seinem Gesicht der Ausdruck von Zweifel lag und alle anderen verärgert waren. Das war unübersehbar.«
    Sie nahm selbst ein Stückchen Teegebäck und bestrich es mit Konfitüre und Süßrahm. »Um wie viel Uhr wurde das arme Geschöpf umgebracht, Mr Pitt?«
    Pitt erstarrte. Sie wusste also Bescheid!
    »In den ersten Morgenstunden, Ma’am. Auf jeden Fall vor zwei Uhr.«

    Die Hofdame neben ihm erstarrte.
    Die Prinzessin, die das gemerkt hatte, sagte sogleich: »Nun seien Sie doch realistisch, Eleanor. Auch wenn ich so gut wie taub bin, so bin ich doch nicht blind und weiß durchaus, worum es bei dem Herrenabend ging. Allerdings ist mir nicht klar, warum die Badewanne noch warm war.«
    »Wie bitte?«, entfuhr es Pitt, bevor ihm die Ungehörigkeit seiner Äußerung aufging.
    »Die Badewanne war noch warm«, wiederholte sie und bot ihm noch einmal Teegebäck an. »Sie wissen doch, dass Gusseisen die Wärme des Wassers ziemlich lange bewahrt. Um acht Uhr war sie noch richtig warm. Ich habe sie selbst angefasst.«
    »Von wessen Badewanne sprechen Sie, Ma’am?«
    »Selbstverständlich von der Seiner Königlichen Hoheit. Aber sein Kammerdiener hat an dem Morgen kein heißes Wasser heraufgebracht. Nehmen Sie noch ein wenig Süßrahm. Er bringt den Geschmack des Gebäcks deutlich mehr zu Geltung.«
    Während Pitt das angebotene Schälchen mit nahezu gefühllosen Händen entgegennahm,

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