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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Eisenbahnprojekt interessiert? Wem könnte daran liegen, dass nichts daraus wird, und aus welchen Gründen? Nationalstolz? Politisches Kalkül? Machtstreben? Sagen Sie mir etwas, was ich nicht in den Zeitungen lesen kann.«
    Während Carlisle einige Minuten lang schweigend nachdachte,
gelangten sie aus dem Schatten der Bäume wieder ins Sonnenlicht.
    »Mir fällt niemand ein, der für das Projekt geeigneter wäre als diese vier, wenn sie als Gruppe zusammenarbeiten«, sagte er schließlich. »Marquand ist ein Geldmensch reinsten Wassers und hat allerbeste Verbindungen, und Sorokine ist ein weit besserer Diplomat, als er bisher gezeigt hat. Er könnte brillant sein, wenn er sich darauf verstehen würde, sein Phlegma zu überwinden. Quase kennt sich nicht nur in Afrika aus, sondern ist vor allem als Ingenieur geradezu genial. Dunkeld verfügt neben Intelligenz und Vorstellungsvermögen über eine unbändige Willenskraft. Falls überhaupt jemand imstande ist, das Projekt voranzutreiben, dann er.«
    »Kennt er Skrupel?«
    Carlisle lächelte. »Nicht die Spur. Aber was würde ein Mann mit Skrupeln bei einem solchen Projekt nützen? Und Sie sagen also, dass er ein Alibi hat?«
    »Ja. Wer außer ihm könnte das Projekt Ihrer Ansicht nach ebenfalls vorantreiben?«
    Nach längerem Nachdenken erklärte Carlisle: »Noch vor wenigen Jahren hätte ich Watson Forbes genannt. Er ist klüger als Dunkeld, hat dafür vielleicht etwas weniger Ausstrahlung. Auf jeden Fall aber ist er der bessere Afrikakenner. Er hat einen großen Teil des Kontinents selbst erkundet, von Kapstadt nordwärts bis ins Maschona- und Matabeleland. Er ist mit Cecil Rhodes bekannt, hat zu Fuß die Savanne durchquert, war im Rift Valley und hat mit dem Boot den Sambesi bis hinauf zu den Wasserfällen befahren, die sicherlich zu den gewaltigsten auf der Welt gehören. Obendrein kennt er sowohl Ägypten als auch den Sudan, ist auf dem Nil über Karnak und das Tal der Könige hinaus und durch einen Kanal bis Khartum gefahren. Jetzt aber hat er sich nach England zurückgezogen. Er hat genug. Er ist erschöpft. Man hat ihm das Projekt sogar angetragen. Dunkeld ist lediglich deshalb zum Zug gekommen, weil Forbes nichts mit der Sache zu tun haben wollte.«

    »Wissen Sie, warum er abgelehnt hat?«
    »Nein. Er hat wohl einfach nicht mehr die nötige Kraft dazu. Vielleicht hat ihn das afrikanische Klima erledigt.«
    Narraway ließ sich diese Worte durch den Kopf gehen und wandte sich nach etwa hundert Schritten noch einmal an Carlisle. »Gibt es Ihres Wissens irgendwelche ernsthaften Gegner des Projekts, die es aus politischen Gründen bekämpfen?«
    »Welche Rolle würde das spielen?«, tat dieser die Frage leichthin ab. »Tut mir leid, aber ich glaube, Ihr Täter ist ein hochintelligenter Mensch, der normalerweise bei klarem Verstand ist und den vor einigen Tagen ein isolierter Anfall von Irresein heimgesucht hat. Ich wüsste nicht, inwiefern das mit der Eisenbahn zusammenhängen sollte. Natürlich lässt sich mit dem Projekt irgendwann in der Zukunft viel Geld verdienen. Außerdem geht es, einmal ganz von der finanziellen Seite abgesehen, um Ehre und eine ungeheure persönliche Machtfülle. Man kann dabei Adelstitel gewinnen und Ruhm erringen, der das eigene Leben überdauert. Die Namen der Männer, die ein solches Projekt verwirklichen, würden Eingang in die Geschichtsbücher finden. Manche Menschen kennen kein erstrebenswerteres Ziel als so etwas. Den Machttrieb sollte man nie unterschätzen.«
    Während sie ihren Weg schweigend fortsetzten, überdachte Narraway Carlisles Worte. Die leichte Brise trug die Klänge eines Leierkastens herüber.
    »Es ist denkbar, dass zwischen diesen Männern persönlicher Hass herrscht. Trotzdem ist mir nicht klar, welchen Vorteil jemand daraus ziehen könnte, eine Prostituierte zu ermorden«, nahm Carlisle den Faden wieder auf. »Vermutlich haben Sie es mit einem sexuell Abartigen zu tun, dessen unglückliche Veranlagung auf dem Gipfel der Erregung dafür gesorgt hat, dass er beim Gedanken daran, wie viel Macht und Geld auf dem Spiel stehen, seine übliche Beherrschung verloren hat. Beispielsweise könnte ihn die Frau verspottet oder auf andere Weise herabgesetzt haben.«
    »Also kein Gegner des Eisenbahnprojekts?«, fragte Narraway.
Er rechnete nicht damit, etwas anderes als eine verneinende Antwort zu bekommen.
    »Unter Umständen jemand, dessen Interessen mit denen einer anderen Macht verknüpft sind«, sagte Carlisle

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