Die Tote von Buckingham Palace
Hofdame aus. Ihre Königliche Hoheit wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich zu ihr bemühen könnten. Wenn es Ihnen recht ist, kann ich Sie gleich jetzt zu ihr bringen.« Es klang wie eine Bitte, doch war klar, dass sich dahinter eine Anweisung verbarg, der er sich keinesfalls entziehen konnte.
»Ge… gewiss.« Sein Mund war trocken. Fieberhaft überlegte er, warum sie ihn sprechen wollte und was er sagen konnte. Sein
erster Gedanke war, dass ihn Dunkeld angeschwärzt hatte, weil sich der Prinz von ihm taktlos behandelt fühlte. Doch warum sollte ihn in dem Fall dessen Gattin und nicht dieser selbst vorladen? Welche Ausrede konnte er vorbringen, um ihr nicht sagen zu müssen, worum es bei seinen Ermittlungen in Wahrheit ging? Wie viel wusste sie schon? Er hatte gehört, sie sei ziemlich schwerhörig, eigentlich nahezu taub. Vielleicht war ihr der ganze Vorfall nicht bekannt, und sie wollte lediglich wissen, warum er sich im Palast aufhielt. Was konnte er ihr sagen?
Gehorsam begleitete er die Hofdame. Nach einem ziemlich langen Weg, der sie durch breite und hohe Korridore führte, blieben sie schließlich vor einer Tür stehen. Seine Führerin klopfte und trat sogleich ein, wobei sie Pitt bedeutete, ihr zu folgen.
Der Raum, in dem sie sich befanden, war ebenso verschwenderisch eingerichtet wie die anderen Räume im Flügel des Kronprinzen, die er bereits gesehen hatte. Er warf keinen Blick auf das mit vergoldetem Stuck umgebene prunkvolle Deckengemälde, denn seine ganze Aufmerksamkeit galt der Dame, die in einem hochlehnigen Stuhl am Fenster saß. Vor ihr stand ein mit Schnitzereien verzierter Teetisch. Er war für drei Personen gedeckt, mit Schälchen für Butter, Konfitüre und Süßrahm sowie einem Teller mit winzigen Sandwiches und unvorstellbar kleinen Kuchen. Die Schlagsahne darauf sah so leicht aus, als könne sie jeden Augenblick davonfliegen. Der Geruch nach frischem Teegebäck stieg ihm in die Nase, und unwillkürlich lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Ihm war noch gar nicht aufgefallen, wie hungrig er war.
»Wie liebenswürdig von Ihnen zu kommen, Mr Pitt«, sagte die Dame am Fenster würdevoll. Zwar war ihm bekannt, dass Prinzessin Alexandra als ausgesprochene Schönheit galt, doch beeindruckte ihn, was er sah, obwohl sie nicht mehr besonders jung war.
Was sagte man zu einer schwerhörigen Prinzessin, die eines Tages Königin sein würde? War es überhaupt von Bedeutung? Würde ihm die Hofdame behilflich sein? Sollte er besonders laut sprechen, oder wäre das ein unverzeihlicher Lapsus?
Er schluckte. »Es ist mir eine Ehre, Königliche Hoheit.« Hatte er das zu laut gesagt?
Sie sah ihn aufmerksam an. Was würde sie ihn fragen?
Mit den Worten »Bitte setzen Sie sich doch« wies sie auf den Stuhl ihr gegenüber. »Möchten Sie etwas Tee?«
Sollte er annehmen, oder entsprang diese Liebenswürdigkeit lediglich einer Höflichkeitsgeste? Er wusste es nicht. War ihr bekannt, wie schroff er den Kronprinzen behandelt hatte?
»Bitte nehmen Sie etwas Tee und Gebäck. Das wird die Atmosphäre entspannen«, sagte die Hofdame, die einen oder zwei Schritte hinter ihm stand, mit leiser Stimme. »Ihre Königliche Hoheit wünscht sich mit Ihnen zu unterhalten.«
»Vielen Dank«, sagte Pitt erleichtert. »Danke, Ma’am.« Er setzte sich, wobei er sich so unbeholfen vorkam wie ein Halbwüchsiger, der nicht weiß, wohin mit Armen und Beinen.
Die Hofdame goss den Tee ein. Er war sehr heiß, man hatte ihn wohl gerade erst hereingebracht, und er duftete köstlich.
»Gewiss ist Ihre Aufgabe außerordentlich schwierig, Mr Pitt«, sagte die Prinzessin, nahm ein Gurken-Sandwich und bedeutete ihm, sich ebenfalls zu bedienen.
»Das stimmt, Ma’am«, gab er ihr recht. Während er das Sandwich nahm, überlegte er, ob es ihm möglich sein würde, es nicht auf einmal zu essen, sondern so achtsam davon abzubeißen, dass es eine Weile vorhielt.
»Haben Sie inzwischen alle Gäste Seiner Königlichen Hoheit kennengelernt?«, erkundigte sie sich. Sie sah ihn mit ihren klugen Augen offen an.
»Ja, Ma’am.« Das klang töricht. Er musste unbedingt etwas hinzufügen. »Gerade heute Nachmittag habe ich noch einmal mit den Herren gesprochen. Ich bin nicht sicher, was die Damen beitragen können.« Wie viel wusste sie? Er musste äußerst vorsichtig sein, damit sie nicht Dinge erfuhr, von denen sie noch nichts gehört hatte. Das könnte entsetzliche Folgen haben.
»Wahrscheinlich wären Sie überrascht, wenn Sie wüssten,
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