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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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anderen zurückzukehren? Nein, das wäre feige, und Feigheit verachtete sie bei sich selbst noch mehr als bei anderen. Außerdem wollte sie gern bleiben, selbst wenn sie kein Wort miteinander redeten.
    »In der Galerie nebenan hängt ein Rembrandt. Es ist eine völlig andere Art von Gesicht.«
    »Ein Selbstporträt?«, fragte er.
    »Ich glaube. Sicher ist es schwer, sich selbst so ohne vorgefasste Meinung zu sehen, dass es der Mühe wert ist, sich zu malen.« Sie hatte das lediglich gesagt, um die Stille zu beenden und zu verhindern, dass er eine persönliche Äußerung von sich gab.
    »Ja«, stimmte er ihr zu. »Dabei würde man seine Schwächen einfangen, die Unentschlossenheit, alles, was einem zwar angenehm, aber zugleich auch seicht ist. Einfacher wäre es bei einem Gesicht, das Starrsinn erkennen lässt oder Hunger nach Leben.«
    »Wäre das anziehender?«, fragte sie und dachte an Minnie. Und was war mit ihr selbst? Fand sie Cahoons Leidenschaft und Willenskraft erregender als Julius’ weniger auf Durchsetzung bedachtes Wesen? Fürchtete sie, dass sich hinter dessen kräftigen Gesichtsknochen letztlich ein Mann verbarg, der weder den Mut noch die Absicht hatte, für seine Träume zu kämpfen? Und wenn er gar keine Träume hatte? Konnte sie von ihm etwas erwarten, was sie selbst ebenso wenig zu besitzen schien?
    Er hatte keine Antwort gegeben.
    »Nun?«, fragte sie. »Wollen wir so etwas sehen?« Kaum hatte sie die Worte gesagt, als sie wünschte, er werde nicht antworten. Wenn sie allerdings erneut sprach und ihn damit am Reden hinderte, würde sie sich immer fragen, was er wohl geantwortet hätte.
    »Nicht in meinen eigenen Räumen«, sagte er. »Da würde ich lieber wahre Schönheit sehen, einen Menschen, von dem man den Eindruck hat, dass er einem zulächeln würde, wenn er sich bewegen könnte.« Er zögerte. »Außerdem hätte ich da gern etwas Geheimnisvolles, das Gefühl, dass es etwas gibt, hinter das ich kommen muss. Etwas, was ich möglicherweise nie vollständig
erfahren werde, weil es sich im Lauf der Zeit verändern und wachsen könnte, wie ein Lebewesen.«
    Bei diesen Worten überlief es sie heiß und kalt. Ihr Herz schlug wild. Ihre Hände waren wie Eis. »Ich hätte gern etwas mit Wärme, etwas, dem ich mich anvertrauen kann«, sagte sie. War das zu unverhüllt? Sie fühlte sich genauso schwerfällig und vorhersagbar, wie es ihr Minnie vorgehalten hatte.
    Er stand so dicht neben ihr, dass sie den schwachen Geruch nach Seife, frisch gewaschener Baumwolle und die Wärme seiner Haut spüren konnte.
    »Vielleicht geht es uns allen so«, sagte er. »Wie viel von dem, was wir in einem Gesicht sehen, existiert in Wahrheit?«
    »Nicht immer besonders viel«, gab sie zu. »Wenn wir imstande wären, wirklich darin zu lesen, würden wir nicht so viele Fehler begehen. Wir sehen, was wir sehen wollen.«
    »Und wir verändern die Dinge«, fügte er hinzu. »Wir finden, wonach wir Ausschau halten, und merken dann, dass wir es doch nicht so haben wollen, wie es ist.« Er berührte sie leicht an der Schulter und ließ die Hand dann sinken.
    Sie wollte sich umdrehen und ihm in die Augen sehen. Nein, das stimmte nicht. Sie wollte unendlich viel mehr, und es wäre eine Katastrophe, etwas so Herrliches, dass man es nicht vergessen konnte, oder etwas so Nichtssagendes, so Enttäuschendes, dass die Wunde nie heilen würde. Sie musste das Thema wechseln, koste es, was es wolle. »Worum ging es eigentlich bei der Sache in Afrika, auf die Cahoon vorhin angespielt hat? War es wie bei der armen Frau hier?« Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren zu schrill.
    »Mehr oder weniger, ja.« Er blieb stehen, wo er war.
    »Will er … damit sagen, dass es derselbe Täter war?«
    »Ich glaube schon. Zumal er selbst sich damals in Europa aufgehalten hat. Damit wäre er aus der Sache heraus. Und Eden Forbes lebt nicht mehr.«
    »Lilianes Bruder? Warum habt ihr in dem Zusammenhang von ihm gesprochen? Was war überhaupt mit ihm? Sie hat nie
etwas darüber gesagt.« Sie hatte das in neutralem Ton sagen wollen, doch ihre Stimme klang ängstlich und vorwurfsvoll.
    »Ich weiß nicht. Ich glaube, es waren Krokodile. Sein Boot ist gekentert. Die Berichte waren nicht ganz klar, und alle waren entsetzlich schockiert. Soweit ich gehört habe, ist Hamilton dem Vater, also Watson Forbes, sehr zur Hand gegangen. Für ihn wie für Liliane war die Situation völlig unerträglich. Ich war übrigens ein paar hundert Kilometer weiter im

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