Die Tote von Buckingham Palace
den Bann der Kunstwerke gezogen.
»Ein ziemlich ungewöhnlicher Abend«, bemerkte Prinzessin Alexandra mit einem Lächeln und sah Elsa an, während sie vor einem düsteren Rembrandt-Porträt stehen blieb, dessen goldfarbenes Licht und Fleischtöne sich von einem düsteren Hintergrund
abhoben. Gleich daneben hing ein Vermeer, bei dem das kühle Morgenlicht aus Blau- und Grautönen das Hauptmerkmal war und alle Einzelheiten so deutlich herausgearbeitet waren, dass man die Körnung der Steine sehen konnte, die den Boden bedeckten.
»Das tut mir leid«, sagte Elsa. Da sie den wirklichen Grund nicht nennen konnte, fuhr sie fort: »Ich fürchte, wir sind alle ein wenig übermäßig angespannt. Den Männern liegt so viel an dem Projekt.«
»Verständlich«, gab ihr Prinzessin Alexandra recht. »Schließlich steht dabei viel auf dem Spiel. Aber ich denke, dass die eigentliche Ursache für die Unruhe die alte Geschichte ist, die Mr Dunkeld angesprochen hat. Sie dürfte alte Ängste wachgerufen haben, die mit dem neuen Vorfall in Verbindung stehen.«
Elsa sah sie verblüfft an. Sie versuchte fieberhaft zu überlegen, ob die Prinzessin zufällig auf das Thema zu sprechen gekommen war oder nicht. Wusste sie womöglich etwas?
Prinzessin Alexandra lächelte trübsinnig. »Waren Sie der Ansicht, ich wüsste nichts davon? Dass dieser Pitt hier ist und solche Fragen stellen darf, kann nur bedeuten, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist. Ich bedaure das wirklich aufrichtig – es muss für Sie ganz furchtbar sein.«
Vergeblich zerbrach sich Elsa den Kopf nach einer passenden Antwort darauf. Schweigend suchten sie die nächste und danach die übernächste Galerie auf.
»Sofern Sie sich die Bilder hier gern ein wenig länger ansehen möchten, tun Sie das ruhig«, sagte die Prinzessin schließlich. »Allerdings fürchte ich, dass ich zurückkehren und noch einmal mit Lady Parr sprechen muss. Ich bin zwar sicher, dass es ihr nicht das Geringste ausmachen würde, wenn ich es unterließe, aber die Pflicht verlangt nun einmal, dass ich es tue.«
Da in Elsas Gedanken nach wie vor Aufruhr herrschte, war ihr der Aufschub hochwillkommen. Sie nahm die ihr angebotene Gelegenheit nur zu gern wahr, denn sie musste unbedingt eine Weile allein sein. Sie empfand Angst. Nur Simnel, Hamilton oder
Julius konnte die Frau auf so entsetzliche Weise getötet haben. Einer der Männer, mit denen sie seit Tagen von Angesicht zu Angesicht wohlerzogen geplaudert hatte, hatte auf bestialische Weise eine Frau ermordet, deren Namen sie nicht kannte und von deren ganzem Leben sie nichts außer der ekelhaften Art und Weise wusste, wie sie ihren Unterhalt verdient hatte. Ob das auf ihrer freien Entscheidung beruht hatte?
Jetzt saßen sie alle im Palast gefangen, bis die Polizei den Fall gelöst hatte. Und wenn es ihr nicht gelang, ihn zu lösen? Sie konnten unmöglich für immer dortbleiben. Würde man sie dann gehen lassen und diese Sache auf alle Zeiten wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen schweben? Die Vorstellung, damit leben zu müssen, schien ihr unerträglich. Hatte die Polizei die Macht, die Sache geheim zu halten? Ein fürchterlicher Gedanke: eine Frau konnte in den Palast kommen, wie ein Tier abgeschlachtet werden, und niemand würde je etwas davon erfahren! Diese Art Macht dürfte es unter Menschen keinesfalls geben.
Doch wie ließ sich der Fall an die Öffentlichkeit bringen, wenn dann drei Männer den Rest ihres Lebens unter dem Schatten dieses Vorfalls verbringen müssten?
Während sie das dunkle, leidenschaftliche Gesicht eines Spaniers auf einem von Velázquez gemalten Porträt betrachtete, rissen Schritte sie in die Wirklichkeit zurück. Es waren Schritte eines Mannes. Hoffentlich ein Dienstbote, sodass sie nicht mit ihm zu sprechen brauchte. Entschlossen hielt sie den Blick auf das Bild gerichtet. Ihr war bewusst, dass sich der Betreffende ganz in der Nähe befand, wer auch immer er sein mochte.
»Man kann spüren, was er empfunden hat, nicht wahr?«, sagte er.
Es war Julius. Zum ersten Mal seit einem Jahr war sie mit ihm allein. Sie konnte sich noch genau an das vorige Mal erinnern, im Anschluss an eine Abendgesellschaft im neuen Haus, das Cahoon in Chelsea gekauft hatte. Sie hatten sich im Wintergarten befunden, wo der Geruch nach Blättern und feuchter Erde warm und reglos in der Luft gehangen hatte wie in einem tropischen Urwald.
Sie räusperte sich. Ein Schauer überlief sie. »Ja.« Wäre es nicht besser, jetzt zu den
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