Die Tote von Buckingham Palace
ließ sich weinend auf das Bett sinken.
KAPITEL 7
A ls Gracie mit dem blutbefleckten Messer kam, erkannte Pitt augenblicklich dessen Bedeutung als Beweismittel. Nur jemand, der im Gästetrakt des Palastes lebte, konnte es in die Wäschekammer gelegt haben, die sie nach dem Auffinden der Leiche gründlich durchsucht hatten. Sogleich stellte er sich die Frage, was der Betreffende damit bezweckt haben mochte. Wollte er, dass man die Tatwaffe dort fand, damit sich der Verdacht auf einen anderen als ihn selbst richtete, oder hatte er sich ihrer einfach entledigen wollen, damit man sie nicht bei ihm finden konnte?
Gracie war wieder an ihre Arbeit gegangen, die darin bestand, den Boden der Waschküche zu schrubben. Ada machte sich ein sadistisches Vergnügen daraus, ihr die beschwerlichsten und unangenehmsten Aufgaben aufzuhalsen, damit sie nie ihre Stellung auf der untersten Stufe der Hackordnung vergaß.
Gracie war überzeugt, dass Pitt nicht nur versuchen würde, das Rätsel um das Messer zu lösen, sondern auch das um die blutbefleckten Laken der Königin. Nichts in diesem Mordfall schien einen Sinn zu ergeben. Würde es ihm gelingen, den Täter zu ermitteln und – was noch wichtiger war – die nötigen Beweise zu finden?
Während sie so ihren Gedanken nachhing, bewegte sich die Scheuerbürste ein wenig langsamer über den Boden. Was aber, wenn es ihm nicht gelang? Die Vorstellung ängstigte sie. Zwar
wusste sie nicht, was ihn in dem Fall erwartete, doch kannte sie nicht nur die Machtverhältnisse, ihr war auch bewusst, wozu Menschen fähig sind, wenn Wut oder Angst sie antreibt. Einen Skandal wie diesen dürften nicht einmal die Leute hier im Palast vertuschen können, doch mochten sie andererseits überzeugt sein, gerade das bereits getan zu haben. Gracie erinnerte sich, wie es vor fünf Jahren gewesen war, als der Massenmörder von Whitechapel sein Unwesen getrieben hatte. In ganz London gärte es, ganz besonders aber im Osten der Stadt. Anarchisten und Republikaner hatten sich gegen die Königin gestellt, es hatte Pläne gegeben, sie zur Abdankung zu zwingen und die Monarchie durch eine andere Regierungsform zu ersetzen. Man hatte sogar die hirnverbrannte Behauptung in Umlauf gesetzt, ein Angehöriger der königlichen Familie sei in die Sache verwickelt gewesen. Was für ein hanebüchener Unsinn!
Doch sie wusste auch, dass die Volksmasse törichte Behauptungen aufgreift und nachplappert, wo ein kurzes, klares Nachdenken genügen würde, um den Menschen zu zeigen, dass sie keinesfalls stimmen konnten. Wut braucht nicht viel Nahrung. Wer arm und hungrig ist, gehorcht mehr seinem Gefühl als seinem Verstand. Als jemand, der selbst im Osten Londons aufgewachsen war, konnte sie sich gut an ihre Herkunft erinnern, auch wenn sie schon lange in der Keppel Street lebte und jetzt damit beschäftigt war, auf Händen und Knien den Fußboden in der Waschküche des Königspalasts zu schrubben.
Nach einer Weile holte sie frisches Wasser und sah, dass Biddie in der Nähstube eifrig Unterröcke bügelte.
Mechanisch schrubbte sie weiter, ohne dass der Gedankenstrom in ihrem Kopf abriss. Die drei Frauen, die der Prinz in den Palast hatte kommen lassen, waren von der gleichen Art wie jene, die der Mörder von Whitechapel aufgeschlitzt hatte. Sollte es hier etwa um einen neuen Versuch gehen, die Monarchie zu stürzen? Wusste Pitt das? Oder bediente sich jemand, der einen neuen Skandal vom Zaun brechen wollte, seiner als Werkzeug? Diese Vorstellung empörte sie so sehr, dass sie unaufmerksam wurde
und sich die Finger an der Scheuerbürste aufrieb, wobei ihr eine Borste schmerzhaft unter einen Fingernagel drang.
Während sie in einer Ecke nahe der Tür saß und die Borste herauszuziehen versuchte, hörte sie Schritte auf dem Gang und dann ein Rascheln, als wenn ein Rock an der Wand entlangstrich. Vermutlich war es Seide, denn die Baumwollkleider der Dienstmädchen raschelten nicht. Für einen Augenblick ließ sie die Borste unter ihrem Fingernagel Borste sein und schob sich ein wenig vor, um vorsichtig in den Gang zu spähen.
Da sie nicht gesehen werden wollte, hatte sie nur einen eingeengten Gesichtswinkel und sah daher lediglich den sehr weiten Rock eines pflaumenblauen Kleides. Das dürfte, ging es ihr durch den Kopf, Mrs Sorokine mit ihrer Vorliebe für kräftige Farben sein.
Der pflaumenblaue Rock schien sich ein Stück weiter in den Raum nebenan zu schieben, und gleich darauf bestätigte Mrs Sorokines Stimme die
Weitere Kostenlose Bücher