Die Tote von Buckingham Palace
so großer Überzeugung zu ihrem Vater, dass es mehr wie eine Feststellung als wie eine Frage klang.
»Das nehme ich zwar an«, gab Cahoon Dunkeld zurück, »doch dürfen wir das keinesfalls als selbstverständlich voraussetzen. Das wäre töricht und kränkend.«
Gracie nahm an, er habe das für den Fall gesagt, dass jemand es dem Prinzen hinterbrachte.
»Aber seid ihr denn nicht Freunde?«, fasste Mrs Sorokine nach. »Ich dachte, dass er dir auf alle Zeiten dankbar sein wird, weil du ihm aus dieser scheußlichen Patsche geholfen hast.« In ihrer Stimme lag eine sonderbare Munterkeit, und sie sah ihn unausgesetzt an.
»Zu dieser scheußlichen Patsche, wie du es nennst, wäre es nie gekommen, wenn wir nicht hier wären«, gab Mr Sorokine zu bedenken. »Allgemein heißt es, einer von uns müsse die Frau umgebracht haben. Dafür wird niemand dankbar sein.«
»Ach, halt doch den Mund«, fuhr ihn seine Frau an. »Schließlich wollte er doch selbst, dass diese Frauen herkamen. Papa hat das lediglich für ihn arrangiert.« Sie wandte sich Dunkeld erneut zu. »Stimmt doch!«
»Könnten wir über etwas anderes reden?«, meldete sich Mrs Quase verärgert zu Wort. »Zumindest beim Essen.«
»Warum?«, fragte Mrs Marquand plötzlich. »Ganz gleich, worüber wir reden – Gesellschaftsklatsch, das Wetter, die Mode, Politik oder Afrika –, wir denken doch alle an nichts anderes! Beim Anblick des Tischtuchs muss ich an die Laken in der Wäschekammer denken, in der sie umgekommen ist. Wenn ich das Essen auf meinem Teller sehe, denke ich an Blut.«
»Es ist Fisch«, sagte ihr Mann. »Wenn du deiner Vorstellungskraft weiterhin so die Zügel schießen lässt, wirst du noch hysterisch. Trink lieber einen Schluck Wasser.« Er hob die Hand. »Bitte ein Glas Wasser für meine Gattin!«
Gracie trat vor und goss aus der Kristallkaraffe, die auf dem Tisch stand, ein Glas voll und gab es Mrs Marquand. Diese nahm es mit einer hilflosen Bewegung entgegen und nippte einige Male daran, bevor sie es wieder hinstellte.
Gracie zog sich erneut an die Wand zurück und hoffte, wieder so unsichtbar zu werden wie zuvor.
»Er ist doch nach wie vor auf dich angewiesen, nicht wahr?«, wandte sich Mrs Sorokine erneut an ihren Vater, als sei nichts geschehen. »Also vermute ich, dass er dich voll und ganz unterstützen wird.«
»Das wollen wir hoffen«, knurrte Mr Dunkeld missmutig. Warum nur, überlegte Gracie. Mrs Sorokine hatte ihm damit doch in gewisser Weise ein Kompliment gemacht.
»Niemand ist besser dafür qualifiziert«, sagte Mrs Quase mit erzwungener Munterkeit. »Ehrlich gesagt bin ich ziemlich sicher, dass außer ihm niemand infrage kommt.«
»Es wird immer andere Angebote geben«, gab Mr Sorokine zu bedenken. »Aber alles, was recht ist – sie sind nicht annähernd so gut.«
»Sicher probieren die es trotzdem, oder? Was meinst du?« Wieder sah Mrs Sorokine zu ihrem Vater hin. »Und dann gibt die Unterstützung durch den Kronprinzen den Ausschlag, nicht wahr?«
»Natürlich!«, sagte Dunkeld ziemlich scharf. »Deswegen sind wir ja hier. Du brauchst nicht großartig herauszustreichen, was offen auf der Hand liegt.«
»Überheblichkeit können wir uns wohl kaum leisten«, ergriff Mrs Dunkeld zum ersten Mal das Wort. »Ganz gleich, wie gut unsere Männer beim Eisenbahnbau sein mögen, einer von ihnen hat die arme Frau umgebracht. Das scheint eine unumstößliche Tatsache zu sein.«
»Es war eine Hure, Elsa«, sagte Dunkeld schroff. »Sprich nicht von ihr wie von einer braven Jungfrau, die jemand auf dem Weg zur Kirche ermordet hat.«
Sie sah ihn mit plötzlicher Wut in ihren grauen Augen an. »Auch die Opfer des Massenmörders aus Whitechapel waren Huren, wie du dich auszudrücken beliebst. Trotzdem wäre er an den Galgen gekommen, wenn man ihn gefasst hätte.«
Mrs Quase stieß einen tiefen Seufzer aus. Mrs Marquand war aschfahl.
Mrs Sorokine hob beide Hände und tat so, als klatsche sie lautlos Beifall. »Bravo, Stiefmutter. Das ist genau die richtige Würze für den Fischgang! Jetzt ist uns so richtig nach Wild zumute. Was es wohl geben mag – Fasan in Aspik, Rehbraten oder geschmorten Hasenrücken? Nichts weckt den Appetit so sehr wie eine gepflegte Unterhaltung über Hinrichtungen.«
»Das mag für deinen gelten!«, gab Mrs Dunkeld zurück. »Es ist doch hirnverbrannt, hier zu sitzen und über Pläne bezüglich einer gesamtafrikanischen Eisenbahn zu reden, wo wir in unserer Mitte einen gemeingefährlichen Irren haben,
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