Die Tote von Buckingham Palace
von Mrs Newsome übertragene Arbeit war schmutzig und alles andere als einfach. In der Tat war der Raum mit allerlei
Abfall angefüllt, ganz, wie sie es gesagt hatte. In dem trotz des frühen Abends noch heißen Raum summten Fliegen. Noch mehr als das aufreizende Geräusch hasste Gracie es, wenn sich die dicken, trägen Insekten auf allem niederließen, was schmutzig oder klebrig war, um ihre Eier abzulegen. Ein Schauer des Widerwillens überlief sie bei diesem Anblick. Rasch holte sie einen Eimer und etwas Natron, um dafür zu sorgen, dass es im Raum wieder etwas angenehmer roch.
Nach einer guten halben Stunde des Putzens, Abwaschens und Einräumens war sie bis zu einigen Flaschen vorgedrungen, auf denen die dicken Fliegen saßen. Es schienen alte Weinflaschen zu sein, und nach dem Aussehen der Etiketten zu urteilen, die wie aufwendig gestaltete Pergament-Urkunden aussahen, waren sie wohl ziemlich teuer gewesen. Sie nahm eine zur Hand und sah genauer hin. Eine Fliege kam aus dem Flaschenhals geflogen und verschwand.
»Äh«, sagte Gracie angewidert. »Das Zeug muss ja sehr süß sein.« Zwar konnte sie nicht alles auf dem Etikett lesen, erkannte aber das Wort Portwein. Sie hatte gehört, dass diese Art Wein unglaublich teuer sein konnte, und kam zu dem Ergebnis, dass die Herren das wohl nach dem Diner getrunken haben dürften. Sie schnupperte ein wenig an der Öffnung. Es roch wie eine Mischung aus Zucker und Salz mit einer Spur Eisen. Widerlich! »Wie kann man so was nur trinken!«, fragte sie sich laut. Ob der Inhalt schlecht geworden war? Konnte Wein überhaupt schlecht werden? Sie nahm eine weitere Flasche zur Hand und hielt die Nase sehr vorsichtig über die Öffnung. Sie roch völlig anders, und zwar äußerst angenehm, etwa so, wie der Wein, den sie einmal getrunken hatte, als sie mit Samuel ausgegangen war. Sie schnupperte erneut an der ersten Flasche. Der Geruch war genauso entsetzlich wie beim ersten Mal. Insgesamt standen acht leere Flaschen dort. Sie hielt die Nase an jede einzelne. Fünf rochen herrlich, die drei anderen abscheulich, und zwar alle auf die gleiche widerwärtig süßliche Weise mit dem Anflug von Eisen.
Sie drehte eine der Flaschen um, träufelte sich einige Tropfen auf den Handrücken und verstrich sie auf der Haut. Eine Fliege, die sogleich kam und sich darauf setzte, schüttelte sie heftig ab. Dann verstrich sie den roten Fleck mit einem Finger etwas mehr. Mit einem Mal wusste sie, was es war: Blut.
Auch aus den beiden anderen Flaschen, die so rochen wie jene, kam ein wenig mit Weinresten vermischtes Blut. Wozu füllte man Blut in eine Weinflasche, und von wem mochte es stammen – von einem Schlachttier oder von einem Menschen?
Sie sprang so rasch auf, dass sie ins Stolpern geriet. Wenn es ihr nicht im letzten Augenblick gelungen wäre, sich an einem Besenstiel festzuhalten, wäre sie zweifellos zu Boden gestürzt. Sie war ein wenig benommen, hatte aber nicht den geringsten Zweifel, was sie zu tun hatte: die drei Flaschen verstecken und dann Pitt den Fund eiligst melden. Niemand außer ihm durfte davon wissen. Gewiss, sie würde sich äußerst töricht vorkommen, wenn sich herausstellen sollte, dass die Sache harmlos war und man das Blut für ein Kochrezept gebraucht hatte, doch wäre es sehr viel schlimmer, wenn sich herausstellte, dass es doch etwas mit der Frau zu tun hatte, die man abgeschlachtet hatte, und sie tatenlos geblieben wäre. Ein solches Ende verdiente niemand, ganz gleich, wer er war.
Sie suchte noch einmal Mr Tyndale auf und teilte ihm mit, dass sie unbedingt schnellstens mit Pitt sprechen müsse. Zehn Minuten später stand sie ihm gegenüber.
Er wirkte abgespannt und sorgenvoll. Seine Frisur war noch unordentlicher als gewöhnlich und sein Hemdkragen völlig zerknittert. Man hätte glauben können, dass sich niemand um ihn kümmerte. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, dachte dann aber an die Flaschen mit den Blutresten darin.
»Wie kommst du zurecht, Gracie?«, fragte er, kaum dass sie die Tür geschlossen hatte. »Tyndale hat mir gesagt, dass dir einige der anderen Dienstboten das Leben schwer machen.«
»Is’ halb so schlimm, Sir«, sagte sie, überrascht, dass Tyndale das weiterberichtet hatte. »Ich bin wegen was hier, was vielleicht …
Ich weiß nich’. Kann sein, dass es nix zu bedeuten hat, aber da scheint mir was nich’ in Ordnung zu sein.«
Ein Hoffnungsschimmer trat in seine Augen. »Worum geht es denn?«
»Ich hab beim Schrubben in der
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