Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
hinweisen, dass unsere Graphologen erkennen, wenn jemand seine Schrift verstellt.«
Wie betäubt zog Adrian einen Füllfederhalter aus der Tasche und schrieb einige Zeilen aus einem Schubert-Lied nieder, die ihm gerade in den Sinn kamen. »Reicht das?«
»Vielen Dank.« Berns wartete, bis die Tinte getrocknet war, und steckte den Notizblock ein.
»Wollen Sie mir nicht sagen, worum es geht? Habe ich mich verdächtig gemacht?«
Berns’ Blick war undurchdringlich. »Solange ein Fall nicht aufgeklärt ist, gilt jeder als verdächtig. Sie nicht weniger als jeder andere.« Er verabschiedete sich und verließ die Garderobe.
Adrians gute Stimmung war verflogen. Der Brief hatte ihn eingeholt.
Berns und Walther beugten sich über die Schriftprobe.
»Für mein Laienauge sehen die recht ähnlich aus«, meinte Berns. »Nur war er hier erregter.« Er deutete auf den Brief aus der Wohnung der Toten.
»Wo bleibt Hermann?«, fragte Leo ungeduldig. Er hatte den Schriftexperten gerade noch auf dem Weg in den Feierabend erwischt. Es hatte dem Kollegen gar nicht gefallen, dass er am Sonnabend noch ein Gutachten erstellen sollte, doch Leo hatte darauf bestanden.
Ein dicklicher Mann mit Hornbrille polterte herein, ohne anzuklopfen. »Wo ist der Schrieb?«
Berns und Walther sahen sich an, während Leo ihm ungerührtden Notizblock und den Brief an Henriette Strauss reichte. »Bitte schön. Ich brauche einen Vergleich, und zwar schnell.« Er deutete auf einen Stuhl. »Sie können das gleich hier erledigen, umso eher haben Sie Feierabend.«
Leo setzte sich hinter seinen Schreibtisch und verschränkte die Arme. Eigentlich dauerte ein solches Gutachten länger, doch wollte er sofort eine erste Einschätzung haben. Falls Hermann die Schriften für identisch hielt, konnten sie den jungen Lehnhardt darauf festnageln und später immer noch ein ausführliches Gutachten einholen.
Hermann holte ein Etui mit einer Lupe hervor, legte die Dokumente nebeneinander und rückte in mikroskopischen Schritten von einem Buchstaben zum nächsten. Sein Kopf wanderte kaum merklich hin und her, wenn er die Auf- und Abschwünge verglich.
Dann legte Hermann die Lupe beiseite. »Auf der Grundlage einer ersten Betrachtung würde ich, natürlich ohne Gewähr, sagen, dass beide Dokumente von derselben Person stammen. Das eine wurde vermutlich in einem Zustand innerer Erregung verfasst, aber die wichtigen Charakteristika sind gleich.« Er zeigte einige typische Stellen in beiden Dokumenten. »Allem Anschein nach handelt es sich um eine Männerhandschrift. Sie stammt von einer Person, die geistig arbeitet und handschriftliche Routine besitzt.«
Leo atmete durch und sah die Kollegen an. »Ich danke Ihnen, Hermann. Sie haben was bei mir gut.«
Der Mann stand auf und brummte etwas vor sich hin, das wie »Warum nicht gleich so« klang.
»Wären Sie mir sonst so freundlich entgegengekommen?«, meinte Leo grinsend.
Hermann zog knurrend von dannen.
Leo holte sein Notizbuch heraus. »Heffter hat mir gesagt, dass die Symptome innerhalb weniger Stunden nach dem Einatmen des Giftes aufgetreten sein müssen. Robert,seit wann ist Dr. Strauss nicht mehr zur Arbeit erschienen?«
»Sie ist am Donnerstag während des Dienstes nach Hause gegangen, weil sie sich nicht wohl fühlte. Das war gegen drei Uhr nachmittags. Dr. Stratow hat dies bestätigt. Weiterhin haben mehrere Krankenschwestern ausgesagt, dass sie schon bei Dienstantritt nicht gesund wirkte.«
»Sagen wir, die ersten Anzeichen wären am Morgen des 18. Oktober aufgetreten. Demnach hätte die Vergiftung am Vorabend oder während der Nacht stattgefunden.« Leo rieb sich das Kinn, auf dem schon wieder der erste Bartschatten lag. »Das grenzt die Möglichkeiten ein. Wir müssen herausfinden, wo sie sich am Abend des 17. Oktober aufgehalten und wie sie die Nacht verbracht hat. Das gilt übrigens auch für Adrian Lehnhardt und Dr. Stratow. Den rufe ich jetzt gleich mal an.«
Er suchte die Nummer des Luisenkrankenhauses heraus und ließ sich mit der Frauenstation verbinden.
»Kommissar Wechsler hier. Ich müsste dringend Dr. Stratow sprechen.« Eine kurze Pause entstand. »Was sagen Sie da?«
Walther blickte auf, als er Leos Tonfall bemerkte.
»Verstehe. Ja, ich gehe der Sache nach. Auf Wiederhören.«
Leo hängte ein.
»Was ist los?«
»Gestern Abend wurde ein Mordanschlag auf Dr. Stratow verübt. Rate mal, wer die Ermittlungen übernommen hat.«
Clara sah auf die Uhr. Halb vier.
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