Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
durchgeführt. Die Berichte wurden mir ausgehändigt. Für fünfzehn Uhr habe ich den Hauptzeugen Freese einbestellt. Ich werde ihn zu Ihnen schicken.«
»Würden Sie mir die Unterlagen bitte zur Verfügung stellen?«
Der Kollege ließ sich Zeit, suchte mit quälender Langsamkeit nach einer Aktenmappe, die sich schließlich am Rand des Schreibtischs fand, und schob sie Leo hin.
»Wie geht es dem Opfer?«
»Der Mann hat eine schwere Halsverletzung erlitten, ist aber außer Lebensgefahr. Er wurde ins Luisenkrankenhaus gebracht.«
Leo verließ mit einem knappen Nicken das Büro.
Walther sah ihm erwartungsvoll entgegen.
Leo setzte ihn kurz ins Bild, ließ sich an seinem Schreibtisch nieder und schlug die Aktenmappe auf.
Der Mordanschlag hatte sich auf offener Straße ereignet. Stratow war anscheinend auf dem Weg zur Straßenbahn gewesen, als eine Frau aus einem Hauseingang gerannt war und ihm ein Messer in den Hals gestoßen hatte. Nur die Geistesgegenwart eines Passanten, der dazwischengegangen war, alsdie Frau erneut hatte zustechen wollen, hatte den Arzt vor einer tödlichen Verletzung bewahrt.
Es klopfte. »Herein.«
Der Mann, der Stratow das Leben gerettet hatte, betrat das Büro und stellte sich ungefragt vor: »Ich soll mich bei Ihnen melden. August Freese, zweiundfünfzig, Buchhalter von Beruf.« Er sah eher wie ein Handwerker aus, war klein und stämmig, mit kräftigen Händen, die gut zupacken konnten.
»Setzen Sie sich«, sagte Leo. »Schildern Sie uns bitte den genauen Hergang.«
Walther stenographierte mit.
»Ich kam gerade aus dem Blumenladen. Hochzeitstag, Sie wissen schon. Ich gehe also mit meinen Blumen zur Straßenbahn, da seh ich, wie eine Frau aus einem Hauseingang stürzt und ganz schnell auf einen Herrn zurennt. Ich dachte zuerst, sie will ihn umarmen, aber dann schrie er auf. Also bin ich hin. Es war genau unter der Straßenlaterne, da hab ich sofort das viele Blut gesehen. Hab sie am Arm gepackt, als sie noch mal ausholen wollte …«
»Konnten Sie die Waffe erkennen?«, fragte Leo dazwischen.
»Ja, ein ziemlich großes Messer mit glatter Klinge. Ich hab sie also gepackt, aber sie konnte sich losreißen und ist weggelaufen. Ich hab noch überlegt, soll ich ihr nachlaufen oder lieber dem Mann helfen?«
»Es war gut, dass Sie sich um ihn gekümmert haben, er verdankt Ihnen sein Leben. Können Sie die Frau näher beschreiben? Wir müssten eine Zeichnung anfertigen lassen.«
Der Mann überlegte kurz. »Na ja, sie hatte einen Hut auf, aber so in etwa bekomme ich es hin.«
»Gut. Wir schicken Sie gleich zu einem Kollegen. Hat der Verletzte irgendetwas gesagt? Hatte er die Frau vielleicht erkannt?«
»Ich glaub, der stand unter Schock. Hat gekeucht und gestöhnt, es war furchtbar viel Blut.«
»Hat die Täterin irgendetwas gesagt?«, fragte Robert Walther.
»Nein.«
Leo rief den Polizeizeichner an und bat ihn, sofort mit August Freeses Hilfe ein Phantombild zu erstellen. »Ich weiß, es ist Sonnabend, aber die Sache ist dringend. Du hast ein Bier bei mir gut. Ja, auch zwei Bier.« Er hängte ein.
»Robert, bring Herrn Freese bitte zum Kollegen Schmidt. Und lass die Aussage tippen. Der Zeuge kann sie danach unterschreiben.«
Als Walther kurz darauf zurückkam, saß Leo zurückgelehnt auf dem Stuhl und hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt.
Walther sah ihn fragend an. »Meinst du, der Anschlag auf Stratow hat mit dem Fall Strauss zu tun?«
»Denkbar ist es schon … Hoffen wir, Herr Freese hat einen guten Blick für Gesichter.«
Nach Feierabend ging Leo wie so oft ein Stück zu Fuß, weil er dann in Ruhe nachdenken konnte. In der Stadtbahn wurde man angerempelt, die Leute husteten, quatschten, raschelten mit der Zeitung, stanken nach Bier und Schweiß und Mottenkugeln.
In der Dircksenstraße musste er stehenbleiben, weil Männer Waschkörbe voller Papiergeld aus einem Geschäft schleppten.
»Mir reicht’s«, knurrte einer von ihnen keuchend und stellte den Korb in einen wartenden Lieferwagen.
Leo schaute sich die absurde Szene an. Früher hätten die Kassenboten es nicht gewagt, Geld so offen über die Straße zu tragen, oder Polizeischutz angefordert, doch jetzt gingen die meisten Leute achtlos vorüber. Kartoffelschalen wärenwertvoller gewesen als dieser Berg von bedrucktem Nichts. Hätte man ein Streichholz hineingeworfen, wäre der Verlust kaum ins Gewicht gefallen.
Leo ging kopfschüttelnd weiter.
Gleich morgen würden sie mit dem jungen
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