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Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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Walther schweigend danebenstand.
    »Ich weiß«, entgegnete Leo. »Sonnenschein und ich kümmern uns um Lehnhardt. Heute Nachmittag bin ich privat unterwegs.« Er zögerte. »Wenn das alles hier erledigt ist, reden wir über freie Tage.«
    Dann griff er nach seinem Mantel und bedeutete Sonnenschein, ihm zu folgen.
    Im Auto sagte Leo nur: »Erzählen Sie mal.«
    Sonnenschein fuhr fort, als wäre ihr Gespräch nie unterbrochen worden.
    »Es ist nicht einfach, etwas zu werden, wenn man aus dieser Gegend stammt. Von Kind an habe ich erlebt, wie uns die Leute anschauten. Wir kamen kaum aus unserem Viertel hinaus. Die meisten lebten weiter, als hätten sie die Heimat nie verlassen. Mein Vater ist sehr gläubig, aber er wollte auch, dass etwas aus mir wird. Am besten ein Rabbi.« Er lachte. »Er war sehr enttäuscht.«
    »Weil Sie zur Polizei gegangen sind?«
    Sonnenschein nickte. »Die Polizei ist nicht gerade unser Freund. Sie schaut gern mal weg, wenn man uns bedrängt.«
    »Warum wollten Sie dann einer von denen werden?«, fragte Leo unverblümt und trat heftig auf die Bremse. Auf dem Alexanderplatz herrschte sogar am Sonntagmorgen Gedränge. »Sie sind ja sozusagen übergelaufen.«
    »Wenn man etwas von innen kennt, kann man es vielleicht verändern«, entgegnete Sonnenschein und wurde rot. »Ich weiß, es klingt dumm. Aber ich wollte Gerechtigkeit, nicht nur für die Juden, für alle. Und dass Verbrecher bestraft werden. So einfach ist das.«
    Genau das war es natürlich nicht, dachte Leo. Dieser Mann war von einer Welt in eine völlig andere gewechselt, das ging nicht spurlos an einem vorüber.
    »Aber wie haben Sie es so weit geschafft?«
    »Zuerst ging ich auf eine jüdische Schule. Mit zwölf habe ich so lange mit meinem Vater gestritten, bis er mich auf ein staatliches Gymnasium schickte. Er hat es mir lange übelgenommen und sich vor den Nachbarn geschämt.«
    Sonnenschein sagte es in lapidarem Ton, doch Leo spürte den Schmerz, der dahinterlag.
    »Mein Vater hoffte, ich würde vielleicht Arzt werden oder doch Rabbiner. Mit einem Polizisten hatte er nicht gerechnet. Heute verstehen wir uns wieder besser. Ich esse jeden Freitagabend bei meinen Eltern.«
    Leo warf ihm einen Seitenblick zu. »Ich weiß nicht, ob ichIhr Durchhaltevermögen gehabt hätte. Woher nimmt man so viel Entschlossenheit?«
    »Schon als Kind bin ich oft durch die Straßen anderer Viertel gelaufen, habe mir dort die Menschen angeschaut, wie sie aussahen und sprachen   … Sie wirkten so anders als wir. Und sie hatten so viele Möglichkeiten, jedenfalls kam es mir so vor. Natürlich gehöre ich noch immer in die Gormannstraße   – und auch wieder nicht.«
    Sein rundes Gesicht wirkte auf einmal älter. Nach kurzem Schweigen fragte er: »Was hat eigentlich der Schriftvergleich ergeben?«
    Leo registrierte den Themenwechsel. »Hermann sagt nach einer ersten Prüfung, dass es vermutlich dieselbe Handschrift ist. Deshalb müssen wir mit Lehnhardt sprechen.«
    »Jetzt?«
    »Ja. Ich habe angerufen, er ist im Bechsteinsaal in der Linkstraße, wo er um elf Uhr eine Matinee gibt.«
    »Hm, sollten wir nicht warten, bis   …«
    Leo zog eine Augenbraue hoch. »Mein lieber Sonnenschein, ich weiß Ihre Liebe zur Musik zu schätzen, aber wenn es um einen Mord geht, kann ich keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten eines Verdächtigen nehmen.«
    Er hatte einen guten Grund für seine Eile, denn er hoffte, Lehnhardt in einer angespannten Verfassung anzutreffen. Lampenfieber. Unruhe. In dieser Lage würde er kaum lügen. Das mussten sie ausnutzen.
    Auf der Leipziger Straße herrschte ebenfalls schon Betrieb   – oder noch immer. Manche Leute wirkten wie Nachtschwärmer, die das Bett noch gar nicht gesehen hatten. Für Alkohol war anscheinend immer Geld übrig, und die Menschen ertränkten darin für wenige Stunden das alltägliche Elend.
    Am Potsdamer Bahnhof bog Leo nach links ab und hielt vor dem Gebäude, in dem der Bechsteinsaal untergebrachtwar. Die großen Klavierbauer wie Bechstein und Blüthner unterhielten in der Hauptstadt eigene Konzertsäle. Draußen hing ein Plakat, das für die Matinee warb.
     
    Am 4.   November um 11.00   Uhr
    präsentieren wir Ihnen
     
    Martin Prätorius, Klavier
    Adrian Lehnhardt, Violine
     
    Programm:
     
    Anton Dvorak:
    Vier romantische Stücke
    für Violine und Klavier op. 75 (B150)
     
    Claude Debussy:
    Sonate für Violine und Klavier g-Moll
     
    Edvard Grieg:
    Lyrisches Stück für Geige und Klavier op.

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