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Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Goga
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bestätigen.« Er griff nach einer Aktenmappe. »Gertrud Pollack hat ausgesagt: ›Es wurden Medikamente geprüft. Manche waren gefährlich, weil sie Wehen auslösen können. Sonst weiß ich nichts Genaues. Es bestand wohl keine Lebensgefahr, aber die Behandlung war unangenehm und manchmal auch bedenklich für die ungeborenen Kinder.‹« Er sah Walther bedeutungsvoll an.
    »Wir kümmern uns darum.«
     
    Als Nathan Sonenszajn an diesem Morgen zu seiner Fleischerei in der Gormannstraße ging, standen die Leute schon vor dem Zentralen Arbeitsnachweis Schlange. Drinnen gab es riesige Wartesäle, doch wenn sie überfüllt waren oder das Amt noch nicht geöffnet hatte, drängten sich die Menschen auf der Straße. Jeden Tag versammelten sie sich dort, erkundigten sich nach Arbeit oder kassierten Stütze. Viele lasen Zeitung oder diskutierten, mitunter heftig, es ging um die politische Lage und ihr ganz persönliches Elend. Für Sonenszajn war es ein gewohnter Anblick, manche Leute kannte er sogar und grüßte sie im Vorübergehen.
    Diesmal aber war etwas anders. Auch heute warteten die Leute in Grüppchen, es wurde gelacht und gestritten, doch fielen ihm einige gut gekleidete Männer wie jene auf, diesich in den vergangenen Tagen in der Gegend herumgetrieben hatten. Sie standen in der Menge verteilt, viele mit Flugblättern in der Hand, und redeten auf die Arbeitslosen ein.
    Als er fast am Gebäude vorüber war und den Schlüssel zum Laden schon in der Hand hielt, fiel hinter ihm eine Bemerkung: »Kerle wie der sind als Erste dran!«
    Sonenszajn blieb stehen, ohne sich umzudrehen.
    »Seht ihr, der Jude ist stehengeblieben! Er weiß genau, wer gemeint ist.«
    Sonenszajn stand wie versteinert da und überlegte, was er tun sollte. Weitergehen, als wäre nichts gewesen? Sich umdrehen und aufbegehren?
    Langsam wandte er sich um.
    Einige Meter entfernt standen drei Männer in einfacher Kleidung, offenbar Arbeiter, die sich verlegen ansahen. Einen kannte er vom Sehen, er hatte früher eine Holzwerkstatt besessen. Die Inflation hatte ihm den Hals gebrochen.
    Bei ihnen war einer der gut gekleideten Männer, der ihm frech entgegenblickte. »Na, Jude?« Dieselbe Stimme wie vorhin. »Hat’s dir die Sprache verschlagen?«
    »Ich bin Geschäftsmann. Sie haben mich nicht zu beleidigen«, erwiderte Sonenszajn.
    »Schau dich doch an in deinem Kaftan! Geh zurück, wo du hergekommen bist, Jude!«, höhnte der Mann.
    »Sie haben mir nichts zu sagen.«
    »Ach, nein?« Der Mann trat näher und zupfte ihn am Bart. »Ist der echt?«
    Sonenszajn wich zurück. Als er merkte, dass ihm niemand zu Hilfe kam, machte er kehrt und ging zu seinem Laden. Das Lachen des Mannes begleitete ihn, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte.
     
    Leo und Sonnenschein kamen zehn Minuten zu früh beim Haus von Henriette Strauss in Charlottenburg an, doch Adrian Lehnhardt wartete schon auf sie.
    »Kennen Sie dieses Gefühl, als ob gleich etwas passieren würde, im Guten wie im Schlechten?«, fragte Leo.
    »Ja, das nennt sich
forgefil.
« Es war das erste Mal, dass Sonnenschein Leo gegenüber ein jiddisches Wort verwendete.
    »Bei mir ist es heute sehr stark, aber ich weiß nicht, ob es sich auf den Fall oder etwas ganz anderes bezieht.«
    »Der Tag wird es zeigen.«
    »Klingt fast wie ein Sprichwort.«
    Lehnhardt trat auf sie zu.
    »Guten Morgen, die Herren. Ich hoffe, Sie haben den Schlüssel. Die Portiersfrau macht nämlich nicht auf.«
    Leo nickte und holte ihn aus der Manteltasche.
    »Wie war Ihr Konzert?«
    »Ganz erfreulich. Ein bisschen mehr Konzentration hätte gut getan.« Ein kleiner Seitenhieb auf ihren Besuch am Sonntagmorgen. »Das Publikum hat nichts gemerkt, das ist schon viel wert.«
    »Aber Sie waren nicht mit sich zufrieden.«
    »Das bin ich nie. Das darf ich auch nicht sein.«
    Sie stiegen die Treppe hinauf. Vor der Tür sagte Leo unvermittelt: »Herr Lehnhardt, die Fabrik Ihres Vaters   – hatte die etwas mit Kriegswaffenproduktion zu tun?«
    Lehnhardt war sichtlich überrascht. »Nein, nein, ganz und gar nicht. Es war eine Fabrik für Druckluftgeräte. Damit kann man beispielsweise Farben fein zerstäubt auf alle möglichen Oberflächen auftragen. Aber die werden für rein zivile Zwecke genutzt. Warum?«
    »Oh, nur so. Gut, dann gehen Sie jetzt bitte durch die Wohnung und schauen sich gründlich um. Sollte Ihnen etwas anders als sonst vorkommen, sagen Sie es.«
    Er schloss auf und bemerkte, dass Lehnhardt tief Luftholte und sich flüchtig

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