Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
die Sie kein Alibi nachweisen können.«
Sie griff so schnell nach dem Küchenmesser, dass Berns sie nur noch zu Boden reißen konnte. Walther packte ihre Hand und drehte sie um, bis Margot Lincke die Waffe fallen ließ. Dann wälzte er die Frau auf den Rücken und legte ihr Handschellen an.
»Hoch mit ihr«, sagte er zu Berns, wickelte das Messer in ein sauberes Handtuch und steckte es in die Manteltasche.
»Das war knapp.« Berns bugsierte Margot Lincke auf einen Stuhl und blieb unmittelbar neben ihr stehen. »Jetzt erzählen Sie mal schön der Reihe nach.«
»Er … er hat mir Medizin gegeben, und daran ist mein Kind gestorben«, stieß sie hervor. Ihre Stimme klang völlig verändert. Der Zorn loderte darin wie eine Flamme. »Das machen die da öfter.«
»Wer macht was wo?«, fragte Walther.
»Die probieren Sachen an Patienten aus«, rief die Frau. »Das weiß ich von einer Bekannten.«
»Frau Lincke«, sagte Berns begütigend. »Im Krankenhaus hat man uns versichert, dass Ihr Kind bereits tot war, als Sie dorthin kamen. Es ging Ihnen schlecht, das steht in den ärztlichen Unterlagen.«
Sie schaute wild von einem Mann zum anderen. »Nein, das ist nicht wahr. Es ging mir zwar schlecht, aber mein Kind hat bestimmt noch gelebt.«
Walther und Berns sahen sich über den Kopf der Frau hinweg an. »Frau Lincke, es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Ihr Kind an einem Medikament gestorben sein könnte. Man hat Sie untersucht und den Tod des Kindes festgestellt.
Daraufhin
hat man Ihnen ein Mittel verabreicht, das Wehen auslöst. Sonst nichts.« Walther biss sich auf die Lippe. Er hasste solche Einsätze.
Ein Ruck ging durch Margot Linckes Körper, und sie sackte in sich zusammen, schien förmlich zu schrumpfen. »Nein, nein, er war schuld«, flüsterte sie.
»Wer war schuld?«, fragte Walther sanft.
»Dass mein Kind gestorben ist. Ich war mir ganz sicher.«
»Wer?«
»Der Arzt. Stratow. Deshalb hab ich vor dem Krankenhaus gewartet, mehrere Tage hintereinander. Zuerst hab ich mich nicht getraut. Aber am Freitag sah er so zufrieden aus, und mein Kind war tot. Da bin ich auf ihn los …«
»Frau Lincke, wir müssen Sie mitnehmen. Sie sind vorläufig festgenommen wegen des Verdachts der versuchten Tötung von Dr. Rudolf Stratow. Möchten Sie Ihrem Manneine Nachricht hinterlassen? Sonst werden wir uns mit ihm in Verbindung setzen.«
»Machen Sie das.«
Sie ließ sich willenlos in den Mantel helfen und zur Wohnungstür führen.
Rosa Lehnhardt hatte die Sachen vor sich auf dem Bett ausgebreitet. Ein weißes Taufkleidchen mit passendem Mützchen. Einen kleinen Matrosenanzug. Winzige Schuhe aus feinstem Leder. Eine Rassel mit hölzernen Kugeln. Ein besticktes Taschentuch mit den Initialen AL. Ein zerfleddertes Bilderbuch. Eine ungelenke Kinderzeichnung, die einen Elefanten darstellen sollte. »Nach einem Besuch im Zoologischen Garten, Mai 1905«, hatte sie auf der Rückseite verzeichnet. Sie stand da, in die Betrachtung der Gegenstände versunken. Sie nahm die Rassel in die Hand und schüttelte sie ein paarmal, bevor sie sie zurücklegte. Sie roch an dem Taschentuch. Strich das Taufkleidchen glatt. Sie schaute so lange auf die Sachen, bis sie vor ihren Augen verschwammen.
Dann setzte sie sich in den Schaukelstuhl am Fenster, lehnte sich zurück und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Als Leo und Sonnenschein ins Präsidium zurückkehrten, waren beide guter Dinge.
»Dann war es wohl ein gutes
forgefil
«, bemerkte Sonnenschein. »Meinen Sie, der Täter könnte diese Spezialflasche benutzt haben, um das Gift zu versprühen? Dann könnte die fragliche Substanz doch im Rosenwasser gewesen sein.«
Leo nickte. »Er muss es gar nicht selbst versprüht haben. Wenn die Tote das Rosenwasser täglich benutzt hat, brauchte er die tödliche Flüssigkeit einfach nur einzufüllen. Und wenn es wirklich so fein zerstäubt wurde, wie Lehnhardt sagt, könnte die Sache mit dem Einatmen tatsächlich funktioniert haben. Damit wären wir ein ganzes Stück weiter.«
Sie stiegen in den ersten Stock hinauf, wo sich die Büros des Morddezernats befanden, und wären vor der Tür beinahe mit Herbert von Malchow zusammengestoßen. Leo wollte schon grußlos an ihm vorbeigehen, als von Malchow Sonnenschein ansprach.
»Ich glaube, Sie haben Besuch.« Er sagte es in einem süffisanten Ton, der Leo aufhorchen ließ.
Sonnenschein schaute ihn arglos an. »Ist es beruflich?«
»Das würde ich nicht sagen,
Herr
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