Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
gefragt? Natürlich wusste Arthur, dass sie ihn liebte und sich nichts sehnlicher wünschte, als seine Frau zu werden. Gesprochen hatten sie jedoch nie über ihre Gefühle, und Arthur hatte niemals etwas geäußert, das einem Heiratsantrag gleichkam. Schneller als erwartet, es war nur eine knappe halbe Stunde vergangen, kam das Hausmädchen und bat Mabel in den Salon hinunter. Als sie die Tür öffnete fand sie die Eltern allein vor, die Tremaines waren gegangen, ohne sich von ihr zu verabschieden. Eine böse Vorahnung durchzog Mabel, als sie ihre Mutter mit feuchten Augen im Sessel sitzen sah und ihr Vater sie mit aschfahlem Gesicht bat, sich ebenfalls zu setzen. Er schenkte zwei Gläser Brandy ein, eines drückte er Mabel in die Hand, obwohl er wusste, dass sie sonst keine scharfen Getränke zu sich nahm.
„Nimm es, du wirst es brauchen.“
Er kam gleich zur Sache, ohne lange Einleitung und Beschönigungen. Lord Tremaine hatte mitgeteilt, dass Arthur Abigail gebeten hatte, seine Frau zu werden, und sie hatte zugestimmt. Die Hochzeit würde bereits in vier Wochen auf Higher Barton stattfinden.
Mabel saß wie erstarrt, die Finger um das unberührte Glas gekrümmt. In diesem Moment empfand sie nichts. Kein Gefühl von Enttäuschung, Trauer, Schmerz oder Verletztheit. Gar nichts war da in ihrem Körper, außer einer großen, schwarzen Leere. Ihre Mutter kam weinend auf sie zu, streckte die Hände aus und flüsterte: „Mein armes, armes Mädchen! Wir alle dachten doch, dass du und Arthur …“
„Sei still, Mutter“, unterbrach Mabel ungewohnt heftig. „Es gab nie ein Abkommen zwischen uns.“ Sie stand auf undwunderte sich, dass die Beine ihr gehorchten. „Ich muss jetzt zur Arbeit.“
„Aber Kind, so lass dich doch trösten.“
Mitleid konnte Mabel jetzt am wenigsten vertragen, darum ging sie wenige Minuten später in die Klinik. Das Kind einer Kollegin, die zum Nachtdienst eingeteilt war, war erkrankt, und Mabel übernahm ihren Dienst, obwohl es ihr freier Nachmittag war. Die Kollegin war überglücklich, gehen zu können, und für Mabel war alles besser, als zu Hause herumzusitzen, zu grübeln und die mitleidigen Blicke ihrer Familie ertragen zu müssen.
Obwohl sie eine Einladung erhalten hatte, fuhr sie nicht zur Hochzeit nach Higher Barton. Zwei Wochen später zog Mabel unter dem Protest ihrer Eltern ins Schwesternwohnheim. Sie konnte den enttäuschten Blick ihrer Mutter und deren ständige Fürsorge nicht mehr ertragen. Jetzt wusste sie, warum Arthur so wenig Zeit für sie gehabt hatte und warum Abigail immer wieder allein ausgegangen war. Nicht nur der Schmerz über ihre verlorene Liebe machte Mabel so bitter, auch die Enttäuschung, von den zwei Menschen, die sie geliebt hatte, schändlich hintergangen und enttäuscht worden zu sein, nagten an ihr. Und dann hatten weder Arthur noch Abigail den Mut besessen, es ihr selbst zu sagen. Nein, der Feigling hatte seinen Vater geschickt. Aus diesem Grund verbrannte Mabel alle Briefe Abigails ungeöffnet, von Arthur kam ohnehin keine Nachricht. Warum auch? Sie hatten sich nichts mehr zu sagen.
Das Leben ging weiter. Ein Jahr später nahm Mabel sich eine kleine Wohnung und wurde zur Stationsschwester befördert. Irgendwann gab es auch wieder Männer in Mabels Leben. Sieging mit ihnen aus, fand den einen oder anderen auch recht sympathisch, keiner berührte jedoch ihr Herz. Dreimal erhielt Mabel einen ernstzunehmenden Heiratsantrag, einen sogar von einem Arzt, der an derselben Klinik tätig war, aber sie wollte nicht heiraten, nur um verheiratet zu sein. Ein Kind wäre zwar schön gewesen, und bis Mabel vierzig war, hegte sie die geheime Hoffnung, sich noch einmal richtig verlieben zu können. Dann gab sie die Hoffnung auf und konzentrierte sich auf ihre Arbeit. Längst war Arthurs Bild in ihrem Kopf verblasst, und Mabel erkannte, dass er ihr damals nicht das Herz gebrochen hatte. Wahrscheinlich war Mabel mehr in das Verliebtsein als in Arthur selbst verliebt gewesen. Trotzdem konnte und wollte sie nicht den ersten Schritt einer Annäherung machen. Ein Jahrzehnt nach dem anderen verrann, schließlich war es zu spät, um den alten Kontakt wieder aufzunehmen. Dann war Arthur gestorben, und eben hatte sie sich mit Abigail unterhalten, als wären sie sich nicht vor vier Jahrzehnten, sondern erst vor einem Monat das letzte Mal begegnet …
Mabel wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, als könne sie damit die Vergangenheit verscheuchen. Sie schmerzte
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