Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
schon lange nicht mehr, erfüllte sie aber mit Wehmut. Die Erinnerungen hatten Mabel für einige Zeit von den Gedanken an die Tote abgelenkt. Ihr Blick fiel auf den Stofffetzen, den sie auf die Frisierkommode gelegt hatte. Hatten ihr die Nerven wirklich einen Streich gespielt und das Stück Stoff stammte von etwas völlig anderem? Sie war tatsächlich nicht mehr die Jüngste. Vielleicht hatten die Aufregung, nach so langer Zeit wieder auf Higher Barton zu sein, und die im Auto verbrachte Nacht tatsächlich Spuren hinterlassen, und sie war einer Sinnestäuschung erlegen?
„Ich sollte so schnell wie möglich nach Hause fahren“, murmelte Mabel, was jedoch durch Abigails Eröffnung vorerst zunichte gemacht war. Mabel lehnte es zwar vehement ab, als Erbin von Higher Barton benannt zu werden, allerdings gebot es der Anstand, noch eine Weile in Cornwall zu bleiben. Zumindest bis Ende der Woche.
Das Klopfen von Emma Penrose unterbrach Mabels Überlegungen.
„Miss Clarence, es ist gleich sieben Uhr. Mylady bat mich, Sie zu wecken. Kann ich Ihnen beim Ankleiden für das Dinner behilflich sein?“
Mabel schüttelte lächelnd den Kopf.
„Das ist sehr freundlich, aber nicht nötig, Mrs Penrose. Ist mein Wagen inzwischen eingetroffen?“
„Natürlich, ich werde Ihr Gepäck gleich heraufbringen“, antwortete Mrs Penrose. „Justin hat das Auto in die Garage gefahren, den Schlüssel bewahre ich in der Küche auf. Wenn Sie den Wagen brauchen, sagen Sie es mir bitte. Wenn Sie jedoch in den Ort möchten oder sonst wohin, brauchen Sie nicht selbst zu fahren. Mylady meinte, Justin, der Chauffeur, stünde Ihnen jederzeit zur Verfügung.“
Die Haushälterin war so freundlich, als hätte es den Vorfall am Morgen nicht gegeben. Offenbar war sie von Abigail angewiesen worden, ihrer Cousine den ihr zustehenden Respekt zu zollen.
„Mrs Penrose, wären Sie so nett, mir eine Frage zu beantworten?“
„Wenn ich kann, gerne.“ Emma Penrose blieb abwartend stehen.
„Unter den gestrigen Gästen … war da eine junge Frau? Mittelgroß, blond und sehr hübsch?“
Emma Penroses Blick verdunkelte sich, sie wusste sofort, dass Mabel von der vermeintlichen Toten sprach.
„Nein, Miss Clarence, es waren nur ältere Gäste geladen.“ Sie wandte sich um und fragte in einem deutlich unterkühlten Ton: „Ist sonst noch etwas?“
Mabel verneinte dankend. Sie hätte sich denken können, dass die Haushälterin nicht bereit war, mit ihr über den Mord zu sprechen. Mabel ging ins Bad, nahm eine heiße Dusche und kleidete sich an. Gemeinsam mit Abigail würde sie zu Abend essen und dabei das Thema des Erbes erneut ansprechen. Ihre Cousine war verrückt! Sie, Mabel, hatte ihr Leben in London, was sollte sie hier in Cornwall tun? Außerdem war Abigail gesund und agil und würde noch lange leben. Nein, nein, sie würde ihr die Sache ganz schnell ausreden und Abigail sollte ihr Testament am besten zu Gunsten des National Trust ändern.
Als sie kurz vor acht Uhr das Esszimmer betrat, wurde sie von Abigail bereits erwartet. Überrascht sah Mabels, dass der ovale Tisch für drei Personen gedeckt war. Abigail bemerkte ihren Blick und sagte: „Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich Doktor Daniels gebeten habe, zum Essen zu bleiben.“
„Einen Arzt? Fühlst du dich nicht gut, Abigail?“
Abigail winkte schnell ab und lachte laut.
„Du meine Güte, nein! Der Doktor kommt nicht meinetwegen. Victor Daniels ist der Tierarzt von Lower Barton. Er ist vorhin vorbeigekommen, um nach meiner Stute zu sehen. Sie scheint eine Hufentzündung zu haben. Ich hänge sehr an dem Tier, wenn ich auch seit Jahren nicht mehr selbst reite. Zwei-, dreimal die Woche kommt eine Schülerin her, damit die gute Buttercup in Bewegung bleibt.“ Abigail sah Mabel beinahe entschuldigend an. „Victor Daniels und Arthur wareneng befreundet, obwohl der Tierarzt manchmal etwas … sonderlich ist. Die beiden spielten regelmäßig Schach miteinander. Ich selbst kann mit Daniels nicht viel anfangen, zu Arthurs Lebzeiten war es jedoch üblich, dass der Doktor immer zum Essen eingeladen wurde, wenn er auf Higher Barton zu tun hatte. Das habe ich aufrechterhalten. Nun, wir werden den Abend überstehen.“
Abigail wandte sich der Anrichte zu und schenkte zwei Gläser mit goldgelbem Sherry ein, als die Tür geöffnet wurde und ein älterer Herr eintrat.
„Ah, Doktor Daniels, wie geht es Buttercup?“, rief Abigail freundlich. „Aber das können Sie mir später berichten,
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