Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
drückte sich herein.
„’Tschuldigung“, murmelte sie und setzte sich unweit von Mabel auf einen freien Platz in der hintersten Reihe. Das Mädchen wirkte gehetzt, ein paar Haarsträhnen hingen unordentlich aus ihrem Knoten, und auf ihrem beigefarbenen T-Shirt prangte ein brauner Soßenfleck.
Eric Cardell ließ die Szene, in der Mary Lerrick auf das Schafott geführt wird, von Jennifer proben.
„… und hiermit erkläre ich euch allen, dass ich unschuldig bin!“, rief Mary beziehungsweise Jennifer und blickte in die Runde. „Ihr macht einen großen Fehler …“
Wenngleich Jennifers Stimme noch immer etwas affektiert klang, machte sie ihre Sache gut, und Mabel folgte gebannt der Szene. Alex, der den Henker spielte, legte eine Schlinge um Jennifers Hals und zog sie leicht zu. Mabel lief es eiskalt den Rücken hinunter, als sie Alex’ große Hände mit den kurzen, dicken Fingern betrachtete. So war auchSarah gestorben. Jemand hatte ihr einen Strick um den Hals gelegt und zugezogen …
„He, was ist mir dir?“ Der Mann neben ihr stupste sie in die Seite. „Geht es dir nicht gut?“
Mabel hatte nicht bemerkt, dass sie während der bedrückenden Szene laut gestöhnt hatte. Sie warf dem Mann einen entschuldigenden Blick zu.
„Ich sehe die Szene zum ersten Mal“, erklärte sie und bemühte sich um ein unverbindliches Lächeln. „Sie wirkt so lebensecht, als ob …“
Der Mann beugte sich näher zu ihr und flüsterte: „Ja, Jennifer macht das ganz gut, wenngleich Sarah besser war. Wie die auf dem Schafott stand … da bekam man wirklich eine Gänsehaut am ganzen Körper und man vergaß beinahe, dass alles nur ein Spiel war.“
„Ruhe dahinten!“ Laut donnerte Erics Stimme durch den Saal, und Mabel und der Mann fuhren erschrocken auseinander. „Hugh, wir proben jetzt die Festnahme.“
Der Mann neben Mabel, Hugh, erhob sich und mit ihm rund ein Dutzend anderer. Dieser Probelauf verlief ebenfalls reibungslos, ebenso wie die folgenden Szenen. Mabel zollte Eric Respekt, denn die Abläufe waren gut organisiert und durchdacht. Die zwei Stunden der Probe verflogen rasch und ohne einen nennenswerten Vorfall. Am Ende ging sie mit Rachel, die nur eine kleine Statistenrolle hatte und als Zuschauerin bei der Hinrichtung von Mary Lerrick fungierte, erneut in den Raum, in dem die Kostüme lagerten. Mabel überlegte, ob sie das Mädchen auf ihren Vater ansprechen sollte, unterließ es jedoch, denn das hätte Rachel nur verschreckt. Stattdessen fragte sie: „Du hast nichts von Sarah gehört?“
Rachel zögerte erst, schüttelte dann aber den Kopf. Mit einem traurigen Blick sagte sie: „Sie wird sich bei mir melden, sobald sie geklärt hat, was sie klären wollte.“
Mabel horchte auf. „Dann gab es etwas, was Sarah beschäftigte? Warum ist sie eigentlich nach Lower Barton gekommen? Sie war doch nicht aus dieser Gegend, nicht wahr?“
Skeptisch blickte Rachel Mabel an, und diese befürchtete, das Mädchen würde erneut fragen, was sie das eigentlich anginge. Rachel war heute aber offenbar in einer solch niedergedrückten Stimmung, dass sie leise antwortete: „Ich weiß es nicht. Wenn ich Sarah danach fragte, dann meint sie immer, ich solle mir nicht meinen Kopf über ihre Angelegenheiten zerbrechen.“ Rachel zuckte mit den Schultern. „So ist sie eben. Wenn man zu sehr in sie dringt, dann entzieht sie sich einem. Sie will nicht, dass man ihr nachschnüffelt. Ich habe das akzeptiert, im Gegensatz zu anderen.“
„Michael zum Beispiel?“
„Michael!“ Rachel rümpfte verächtlich die Nase. „Über den und sein Süßholzgeraspel hat Sarah nur gelacht. Seine Nachstellungen sind ihr gehörig auf die Nerven gegangen.“
„Für einen so gutaussehenden Mann wie Michael muss es ein herber Schlag gewesen sein, von Sarah abgewiesen zu werden“, hakte Mabel nach. „Ich kann mir vorstellen, dass er ziemlich sauer auf sie war.“
„Sauer ist kein Ausdruck.“ Rachel lachte freudlos. „Michael war richtig wütend. Einmal hat er Sarah sogar angeschrien, sie würde es noch bereuen, ihn abgewiesen zu haben.“
„Er hat sie bedroht?“ Mabels Herzschlag beschleunigte sich. „Glaubst du, Michael wäre fähig, Sarah etwas anzutun?“
Rachel erbleichte. „Sarah ist nichts passiert!“, rief sie laut. „Auch wenn Michael oft große Töne spuckt, er würde Sarah doch niemals etwas antun.“
„Jennifer Crown hat auch ihre Gründe, Sarah nicht zu mögen“, erinnerte Mabel, in deren Kopf sich einzelne
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