Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
annahm. Kurz überlegte sie, selbst ihre Hilfe anzubieten, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Nicht dass Hausarbeit ihr etwas ausgemacht hätte, aber sie spürte, ihr Verhältnis zu Victor, das zunehmend besser wurde, könnte es trüben, wenn sie für ihn arbeitete. Außerdem mochte Mabel sich Abigails Entsetzen nicht vorstellen, wenn sie ihr sagte, sie ginge dem Tierarzt zur Hand.
„Bei der Arbeitsvermittlung haben Sie nachgefragt?“
„Ja.“ Victor runzelte die Stirn. „Wenn die aber nur meinen Namen hören, winken sie schon ab.“
„Tja, offenbar eilt Ihnen Ihr Ruf voraus“, erwiderte Mabel und lachte. „Ich sagte Ihnen bereits, einer Haushälterin gegenüber müssen Sie etwas … kooperativer sein, wenn sie möchten, dass diese längerfristig bei Ihnen bleibt.“
„Vielleicht haben Sie recht, Mabel.“ Victor seufzte. „Hab’ es nur nicht so gern, wenn jemand in meinen Sachen rumschnüffelt.“
Das konnte Mabel zwar verstehen, wenn man allerdings seinen Haushalt allein nicht schaffte, dann war es nun mal nicht zu vermeiden, mit einer Fremden einen Teil seiner Privatsphäre zu teilen.
„Am besten inserieren Sie in der Tageszeitung“, sagte Mabel. „Wenn die Damen sich vorstellen, bin ich gerne bereit, einen Blick auf sie zu werfen.“
Er nickte. „Werd’s mir überlegen. Dachte, Sie wüssten vielleicht jemanden …“
„Ich?“ Mabel lachte. „Ich bin gerade mal eine Woche in Lower Barton und kenne kaum jemanden.“ Sie sah auf ihre Uhr. „Ich sollte jetzt aber gehen, Victor.“
Es war bereits neun Uhr, als Victor Mabel zum Supermarkt fuhr, wo sie ihren Wagen abgestellt hatte. Mabel wusste, Abigail würde sie mit vorwurfsvoller Miene begrüßen, und überlegte sich eine Ausrede, was sie so lange in Lower Barton festgehalten hatte. Sie entschloss sich zur Wahrheit, nun ja, zur Halbwahrheit und würde sagen, sie hatte nach der verletzten Katze gesehen und sich dabei mit Victor Daniels verplaudert. Das war ja nicht direkt geschwindelt, über den Inhalt ihrer Unterhaltung musste Mabel ihrer Cousine nichts preisgeben.
Als Mabel aus Victors Jeep steigen wollte, bemerkte sie Rachel Wilmington, die den Supermarkt schwer beladen verließ. In beiden Händen trug sie die fast durchsichtigen hellgelben Tüten mit dem schwarzen Logo von Morrisons. Auch Victor hatte das Mädchen bemerkt.
„Musste wieder Bier für den Vater holen“, sagte er leise, denn die Verpackungen eines billigen Bieres schimmerten durch die Tüten.
Kurz entschlossen ging Mabel auf Rachel zu. Das Mädchen erschrak, als Mabel plötzlich vor ihr stand.
„Soll ich dich nach Hause fahren?“, fragte Mabel freundlich und deutete auf die Plastiktüten. „Du hast schwer zu tragen, und mein Auto steht gleich da drüben.“
Rachel zögerte. Die Bierflaschen waren wirklich schwer, sie war so unendlich müde und ihre kaputte Hüfte schmerzte. Andererseits fühlte sie in Mabels Gegenwart stets eine leichte Beklemmung, denn die Frau ließ nichts unversucht, sie über Sarah auszufragen. Rachel befürchtete, früher oder später etwas zu sagen, was nicht gut für sie war. Weder für sie noch für Sarah, denn das war ihrer beider Geheimnis, und sie hatte Sarah schwören müssen, niemandem auch nur ein Wort zu verraten. Für sie selbst hätte es ebenfalls furchtbare Konsequenzen, wenn die alte Frau etwas aufdecken würde. Beim Gedanken daran konnte Rachel die Faust ihres Vaters regelrecht in ihrem Gesicht spüren. Daher sagte sie: „Danke, das ist nicht nötig. Ich mache gerne einen Abendspaziergang.“
„Bist du sicher?“ Mabel sah Rachel aufmerksam an.
„Ganz sicher“, entgegnete das Mädchen etwas schnippisch. „Ich mag zwar hinken, dennoch bin ich kein Krüppel, den man durch die Gegend kutschieren muss.“
„Ich wollte dich nicht beleidigen.“
„Lassen Sie mich einfach in Ruhe, ja?“, entgegnete Rachel und ließ Mabel stehen.
Sie sah dem Mädchen nach, als es langsam und leicht gebeugt, als trüge es eine weitaus schwerere Last als die Bierflaschen, davonging. Instinktiv spürte Mabel, dass der Schlüssel zur Lösung des Rätsels – die Ermordung Sarah Millers – bei Rachel Wilmington lag.
11
Das Wochenende verging für Mabel in zäher Langsamkeit. Abigail schien sich daran gewöhnt zu haben, dass ihre Cousine zwar auf Higher Barton schlief, sonst aber kaum im Haus war. Mabel hatte ein schlechtes Gewissen. Immerhin hatte Abigail sie eingeladen, damit die beiden Frauen sich wieder näherkamen, wenngleich die
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