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Die Tote von San Miguel

Die Tote von San Miguel

Titel: Die Tote von San Miguel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Woods
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akzeptabel, urteilte er. Er schnupperte unter einer Achselhöhle. Auch wenn er ein wenig ranzig roch.
    Er machte kehrt und betrat das Café, ignorierte den primero camarero , der ihn aufhalten wollte, und steuerte zielstrebig den Tisch der Blondine an, an dem noch zwei freie Stühle standen.
    »Sind diese Plätze schon besetzt?«, fragte er auf Englisch.
    Die Frau warf ihm einen prüfenden Blick zu.
    »Gregori Gregorowitsch, zu Ihren Diensten«, stellte er sich vor. Ein Jahrhundert früher, in der Uniform der Zarengarde, hätte er zackig die Hacken zusammengeschlagen undsich verbeugt. So aber zog er einfach einen der Stühle heran, ohne eine Antwort abzuwarten, und setzte sich.
    »Kenne ich Sie?«, erkundigte sich die Blondine.
    »Es gibt hier keine freien Tische, und ich bin am Verhungern«, erwiderte er.
    Sie musterte ihn kurz, bevor sie den Blick abwandte. »Ich warte auf ein paar Freunde.«
    »Ich hoffe, sie sind unterhaltsam.«
    Ein Lächeln kroch wie ein gefährliches Insekt über ihre Lippen und nahm einen verächtlichen Zug an. »Was Sie betrifft, Mr. Gregorowitsch, könnte man Sie zumindest als ziemlich dreist bezeichnen. Wahrscheinlich sind Sie aber einfach nur ein Trottel.«
    Aus der Nähe konnte Gregorowitsch kleine Fältchen um ihre Augenwinkel herum entdecken. Die Haut unter ihren Augen hatte den Farbton dunklen Weins. Er schätzte sie auf Ende dreißig. Vermutlich schlief sie nicht besonders gut. Ihre Brüste zeichneten sich flach und breit unter dem elastischen Stoff der Bluse ab, die Brustwarzen waren andeutungsweise als Flachrelief erkennbar. Trotz der dunklen Augenringe war sie erstaunlich attraktiv.
    »Gregori«, sagte er und setzte sein bestes schuljungenhaftes Lächeln auf. »Da ich aus L. A. stamme, bin ich von Natur aus aufdringlich. Eine Frage des Überlebens. Sind Sie Engländerin?«
    Sie trank einen Schluck von ihrem Wein. »Kanadierin. Aber ich wohne hier in Mexiko.«
    Er bemerkte einen Ehering mit einem bescheidenen Diamanten. »Leben Sie allein in San Miguel?«
    »Ich glaube nicht, dass Sie das etwas angeht.«
    Gregorowitsch gab sich angemessen zerknirscht. »Tut mir leid.«
    »Mein Mann arbeitet für die Kanadische Botschaft. Momentan ist er wieder in Ottawa. Wegen einiger Konferenzen. Und friert sich dort den Arsch ab.«
    Ein Kellner erschien.
    »Ich warte noch auf einige Freunde«, sagte die Frau in fließendem Spanisch. »Aber der Herr hier möchte gleich bestellen.«
    Gregorowitsch warf einen flüchtigen Blick in die Speisekarte. »Enchiladas de pollo con salsa verde. Agua mineral.«
    »Ihre Aussprache ist grauenhaft«, stellte die Blondine fest.
    Er zuckte die Achseln und blickte an ihr vorbei auf die Rückwand des Raumes, die mit Fotos und Karikaturen der hübschen TV-Moderatorin aus Mexico City gepflastert war, der das Café gehörte.
    »Warum haben Sie sich ausgerechnet an meinen Tisch gesetzt? Es gibt hier noch etliche andere freie Sitzplätze.«
    »Also, um ehrlich zu sein, Sie sind mir bereits im jardín aufgefallen, und ich bin Ihnen bis hierher gefolgt. Als Sie dann in das Café gegangen sind, ist mir bewusst geworden, dass ich am Verhungern bin. Und da ich völlig abgebrannt bin, habe ich mir gedacht, dass Sie vielleicht Mitleid mit mir haben und mir ein Essen spendieren würden.«
    »Ich finde es sehr schmeichelhaft, dass Sie mich für ein so leichtes Opfer halten.«
    »Ich fand, dass Sie einfach umwerfend aussehen. Deshalb hatte ich gar keine andere Wahl, als Ihnen zu folgen.«
    Plötzlich huschte ein Anflug von Argwohn über ihr Gesicht. War er zu weit gegangen? Hatte er zu sehr den Eindruck erweckt, eine Art Jack the Ripper zu sein? Einen Moment lang befürchtete er, sie könnte den Oberkellner rufen und ihn auf die Straße werfen lassen. Doch da erschien zumGlück die Bedienung mit den enchiladas . Gregorowitsch griff nach dem Besteck und begann, mit Appetit zu essen.
    Die Frau nippte an ihrem Wein, während sie ihm zusah. Er blickte zwischen den Bissen hin und wieder kurz zu ihr auf. Als sein Teller leer war, lehnte er sich zurück und sah sie ruhig an. »Es tut mir leid, wenn ich …«, begann er.
    »Nicht«, sagte sie. »Sie waren am Verhungern.«
    »Sie hätten nicht zufällig eine Zigarette für mich?«
    Sie lachte. »Ich denke, es ist Zeit für Sie zu gehen.«
    »Sollten Sie heute Abend nichts Aufregenderes vorhaben, sind Sie hiermit zu einer Ausstellungseröffnung in der Galería Rana eingeladen. In der Calle 16 de Abril . Ich präsentiere dort zusammen mit

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