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Die Tote von San Miguel

Die Tote von San Miguel

Titel: Die Tote von San Miguel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Woods
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Irgendwer hatte das Wort »Schwanzlutscher« in Augenhöhe auf die geflieste Wand gekritzelt.

Kapitel 7
    Gregori Gregorowitsch, artiste de erotica und Exilant aus L. A., beäugte interessiert die große Blondine mit dem Strohhut, die durch den Jardín Principal schlenderte. Sie erinnerte ihn an einen sehr langen, trägen Opiumtraum. Obwohl sie eigentlich deutlich älter als die Frauen war, auf die er normalerweise stand.
    Das Morgenlicht spiegelte sich grell auf ihren rot bemalten Lippen. Die eng sitzende schwarze Hose und die rote Spitzenbluse betonten ihre Figur. Gregorowitsch warf dem Zeitungsverkäufer eine Zehn- peso -Münze zu, schnappte sich ein Exemplar der Atención und eilte über den jardín , um die Frau einzuholen.
    Der Zeitungsverkäufer rief ihm etwas hinterher. Gregorowitsch hatte sein Wechselgeld vergessen, lief aber einfach weiter.
    Die Blondine verließ den jardín , bummelte im Schatten der Arkaden auf der anderen Straßenseite entlang und sah sich die Schaufenster an. Gregorowitsch verlangsamte seine Schritte und tat so, als fesselte der Anblick der Kathedrale vor dem kristallklaren blauen Himmel seine Aufmerksamkeit. Vor der Kathedrale waren einige bäuerlich aussehende Männer und Frauen damit beschäftigt, einen Torbogen aus Blumen für irgendein religiöses Fest zu errichten. Aus den Augenwinkeln heraus verfolgte Gregorowitsch, wie die blonde Frau in einer Boutique verschwand.
    Er lehnte sich an einen von der Sonne beschienenen Pfeiler der Arkade und schlug seine Ausgabe der Atención auf. Die Hauptschlagzeile lautete: »Frau im jardín ermordet«,doch Gregorowitsch fand nicht die Zeit, den Artikel auch nur zu überfliegen, denn im gleichen Moment kam das derzeitige Objekt seiner Begierde wieder aus der Boutique heraus, marschierte die Arkade in einem atemberaubenden Tempo entlang und bog an der nächsten Kreuzung in die Calle San Francisco ein. Gregorowitsch stopfte die Zeitung in eine Tasche seines zerknitterten Leinenblazers und folgte ihr eilig.
    Ich bin ein Idiot , dachte er, weil er nicht auf der Stelle zu Fran Kovacs zurückkehrte, um sie um Verzeihung zu bitten. Schließlich hatte sie ihn aus der Gosse gezogen. Hatte ihm einen Platz zum Malen gegeben, kostenlos. Gelegentlich, wenn ihr danach zumute war, teilten sie sogar für eine verschwitzte Nacht das Bett.
    Gestern Abend hatte sie darauf bestanden, gemeinsam auf Brians Geburtstagsparty zu gehen. Gregorowitsch hatte Tequila getrunken, Fran zur Musik der Liveband getanzt. Nach der obligatorischen Geburtstagstorte war er mit ein paar Leuten aufs Dach gegangen, um Pot zu rauchen. Irgendjemand verteilte Vicodin. Als Fran später zu ihm kam, weil sie nach Hause gehen wollte, übergab er sich auf sie. Zu diesem Zeitpunkt saß er, nur noch mit seinen Boxershorts bekleidet, neben einer kleinen chica , die ihrerseits bereits völlig nackt war.
    Bis sich Gregorowitsch wieder angekleidet hatte und Fran hinterherlief, war sie schon den Hügel hinuntergegangen und vom Nebel verschluckt worden. Er fand ihr Haus verschlossen und verriegelt vor. Alle Fenster waren dunkel.
    Eine Weile wanderte er ziellos durch die nebelverhangenen Straßen. Die Bäume im Jardín Principal sahen wie Trolle aus, die sich vor der Nacht duckten. Schließlich trieben ihn die feuchte Kälte und seine Erschöpfung in eine der zahllosenKirchen San Miguels. Kerzen flackerten vor einer Statue der Heiligen Jungfrau. Es roch nach feuchtem Putz und Schimmel in der großen düsteren Kirche. Gregorowitsch schlief auf einer Sitzbank ein, das Leinenjackett über den Kopf gezogen, die Hände zwischen die Oberschenkel geklemmt, um sie zu wärmen. Und jetzt, im dünnen Morgenlicht eines neuen Tages, fühlte er sich unwiderstehlich von der unbekannten Blondine angezogen, anstatt nach Hause zu Fran zurückzukehren.
    Vor ihm schoss die blonde Granate plötzlich wie ein launischer Korallenfisch in ein berühmtes Café. Als er vor dem geöffneten Fenster vorbeiging, sah er sie allein an einem Ecktisch sitzen. Das Café war voll besetzt. Ein Stechen in der Magengegend erinnerte ihn daran, dass er seit letztem Mittag nichts mehr gegessen hatte.
    Einen halben Straßenblock hinter dem Café blieb Gregorowitsch vor einem Schaufenster stehen und begutachtete sein Spiegelbild in der Glasscheibe. Schwarzes T-Shirt, Jeans und ein fast immer noch weißes Leinenjackett. Das Haar hatte er sich an einem öffentlichen Brunnen mit Wasser bespritzt und aus der Stirn gestrichen. Mehr oder weniger

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