Die Tote von San Miguel
leid«, murmelte Gregori. »Ich war wohl ein bisschen übererregt.«
Jane leckte sich seufzend über die trockenen Lippen, dann beugte sie sich über ihn und machte sich an die langwierige Arbeit, das erloschene Feuer von neuem zu entfachen.
Kapitel 11
Die Galería Rana sah wie ein gigantischer weißer Zuckerwürfel aus, den ein Riese zwischen modischen Geschäften und Bars in einem Neubauviertel der Innenstadt hatte fallen lassen. Sie lag einen gut zwanzigminütigen Fußmarsch von San Miguels altem kolonialem Zentrum entfernt oder nur einen kurzen Moment per Taxi.
Um Viertel nach neun hielt ein weiß-grün lackiertes Taxi mit extrem abgenutzten Bremsbelägen laut quietschend vor der Galerie. Kurz darauf schob Inspector Hector Diaz seinen schlanken Körper in einem Zustand wackliger Trunkenheit ungeschickt auf der falschen Seite des Wagens durch die Hintertür. Er kam mehr als eine Stunde zu spät. Aber besser zu spät als überhaupt nicht, wie er fand.
Noch bevor er sich umdrehen konnte, um die Tür zuzuschlagen, schoss das Taxi auch schon wieder davon, wobei es eine Staubwolke von der nur teilweise gepflasterten Straße aufwirbelte. Diaz blieb eine Weile stehen und sah zu der Galerie empor, ein frisches Taschentuch auf Mund und Nase gedrückt. Grünes und rosafarbenes Neonlicht blitzte wie ein neurotisches Mantra rhythmisch aus den transparenten Tiefen der Glassteinfassade auf. Aus einer Nische über dem Eingang erwiderte ein von Grünspan überzogener Frosch reglos Diaz’ Blick.
Das pulsierende Neonlicht schien Diaz abwechselnd zu locken und abzustoßen. Welche Bazillen er sich auch immer mit dem Mittagessen eingefangen hatte, ihre Nachwirkungen ließen seine Eingeweide immer noch rumoren. Die drei Mezcals, die er im El Iris auf nüchternen Magen getrunkenhatte, waren ein Fehler gewesen. Mit etwas Glück erwartete ihn in der Galerie eine reichhaltige Auswahl an Snacks, mit denen er die Wirkung des Alkohols bekämpfen konnte. Oder zumindest ein Moment erholsamer Ruhe in einer geschlossenen Toilettenkabine.
Irgendetwas bewegte sich am Rand seines Sichtfeldes. Ein streunender Hund, dürr wie ein Phantom, lief mitten auf der Straße. Als er sich zu Diaz umdrehte, schien das Gesicht des Teufels den Inspector mit einer Feindseligkeit anzustarren, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Diaz strauchelte, und instinktiv griff er nach seiner Brust, wo bis zu seinem vierzehnten Geburtstag ein Silberkreuz an einer Kette gebaumelt hatte. Stattdessen strichen seine Finger über die goldene Ehécatl -Figur. Ob ihn der uralte Gott der Stürme wohl vor dem christlichen Teufel beschützen konnte? Weder er noch die anderen alten Gottheiten hatten Montezuma hilfreich gegen Cortés’ blutiges Gemetzel beigestanden. Aber dies war ein neues Zeitalter. Die Zeit, alte Überzeugungen zu neuem Leben zu erwecken.
Die satanische Kreatur wandte sich knurrend von ihm ab und lief immer schneller werdend weiter, wurde nach und nach von den Schatten verschluckt. Diaz schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, war der Teufelshund endgültig verschwunden. Vielleicht aber war er auch nie da gewesen. Wie auch immer, Diaz’ Stirn war schweißbedeckt.
Wenn du in diesem Tempo weitermachst, landest du auf der Erste-Hilfe-Station, noch bevor die Nacht vorüber ist , dachte er. Reiß dich zusammen!
Er wischte die blinkenden Lichter der Neonleuchten wie einen Schwarm lästiger Mücken mit einer Hand beiseite, überquerte den Bürgersteig mit schnellen Schritten und stieg die Treppe der Galerie hinauf.
Eine zweiflüglige Tür aus irgendeiner Metalllegierung stellte ihn vor ein neues Hindernis. Als Diaz mit dem unbeweglichen Türknauf kämpfte, schob sich ein Pärchen von hinten an ihn heran. Der Mann griff an ihm vorbei und drückte auf einen Knopf in der zurückgesetzten Wand. Das Türschloss öffnete sich mit einem vernehmbaren Klicken, die Türflügel schwangen auf, und das Pärchen schob sich hindurch.
Diaz ließ sich wie Treibgut in ihrem Kielwasser mitreißen, folgte blindlings dem wellenförmigen Auf und Ab, mit dem die nackten Schultern der Frau vor ihm tanzten. Das Pärchen stürzte sich in die wogende Menge und wurde von ihr verschluckt. Ein dröhnender menschlicher Ozean aus Reichtum, Dekadenz, Affektiertheit und Exzentrik erfüllte die Galerie. Einige Gäste standen in kleinen Gruppen herum, rauchten, tranken Wein und tauschten den neuesten Tratsch aus. Andere wanderten einzeln oder paarweise ziellos umher und blieben
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