Die Tote von San Miguel
Bilder. Es lag eine verhaltene Spannung in der Luft, als sie vor dem Gemälde stehenblieben.
»Ich möchte Sie bitten, mir die drei Künstler vorzustellen, für die diese Frau Modell gestanden hat«, sagte Diaz. »Sie ist gestern Nacht ermordet worden.«
Julias pechschwarze Augenlider flatterten wie verängstigte kleine Schmetterlinge. Einen Moment lang befürchtete er schon, sie würde in Ohnmacht fallen, doch dann erkannte er, dass das Adrenalin in ihren Adern von Erregung und nicht etwa von Angst herrührte.
»Wie wunderbar fantastico und furchtbar zugleich. Natürlich werde ich Ihnen die Künstler vorstellen.«
Sie geleitete ihn zu einer kleinen Bar, die unterhalb des Treppenaufgangs zur Balkonetage aufgebaut worden war. Ihr Duft drehte kleine Pirouetten in Diaz’ Nase.
An der Bar lehnte ein großgewachsener, auffallend gutaussehender Mann Mitte dreißig. Seine mandelförmigen blauen Augen schätzten die an der Bar vorbeidefilierenden Besucher mit kühler Berechnung ab.
Zwei furchteinflößende Harpyien mit zweifarbig bemalten Lippen und hochtoupiertem Haar, die Brüste in Pushup-BHs angriffslustig in die Höhe gereckt, umkreisten ihn lauernd, als könnte er ihre nächste Beute werden.
Eine der Frauen gab den einen oder anderen pikanten Tratsch zum Besten, während die andere ihr die Zunge insOhr schob. Der Mann nahm mit gelangweiltem Gesichtsausdruck eine Weinflasche vom Tresen und begann, das Glas der Quasselstrippe geistesabwesend aufzufüllen. Der Spiegel des dunklen Weins stieg gefährlich weit in die Höhe, bis er sich schließlich über den Glasrand auf die Brust der Frau ergoss.
»Oh, tut mir leid«, murmelte der Mann.
Die Frau wischte sich voller Panik mit einer Serviette über das besudelte Kleid. Ihre Freundin lachte.
»Jetzt musst du Gilberto für die Serviette bezahlen«, sagte der Mann.
»Brian«, unterbrach ihn Julia. »Ich möchte dir jemanden vorstellen.«
»Wenn ihr mich bitte entschuldigen würdet, señoras «, sagte der junge Mann namens Brian. Er schob sich an den beiden Harpyien vorbei und glitt schwerelos durch den Raum, wobei er allen Leuten, die er kannte, ein strahlendes Lächeln zuwarf. Diaz und Julia folgten in seinem Schlepptau. Plötzlich blieb er neben der einzigen Skulptur stehen, die Teil der Ausstellung war, einem uralten toltekischen Gesicht aus korrodiertem Metall, wo er wie eine Yacht an ihrem Ankertau in der Dünung dümpelte. Seine Augen richteten sich auf Diaz.
Diaz begegnete dem Blick mit unbewegter Miene. »Inspector Diaz von der Policía Judicial .«
»Brian Dillinger.« Dillingers Händedruck war mörderisch.
»Irgendwie verwandt mit dem gleichnamigen Gangster?«, erkundigte sich Diaz.
»Man munkelt, er wäre ein entfernter Cousin von mir, aber ich habe das niemals überprüft. Meine Familie stammt aus Chicago. Da wir schon beim Thema Polizei und Gangstersind, ich hätte nie damit gerechnet, dass sich San Miguels Spitzenbulle einmal auf einer meiner Ausstellungen blicken lässt.«
»Genau genommen bin ich nicht der Spitzenbulle, wie Sie sich ausdrücken. Aber ich bin hier, weil ich im Mordfall Amanda Smallwood ermittle.«
»Grauenhaft!« Dillinger sprach das Wort so aus, als würde er eine Flasche schlechten Wein beurteilen.
»Wenn die heutige Ausstellung Rückschlüsse auf sie zulässt, muss sie eine hinreißende Inspiration für die Künstler gewesen sein.«
»›Heiß‹ wäre wohl die beste Charakterisierung von Amanda Smallwood. Sie war ein absolutes Luder. Aber sie wird mir fehlen. Sie war wie besessen von der Vorstellung, dass sich Künstler bemühten, ihren geilen kleinen Körper in die lüsterne Inkarnation der Sinnlichkeit zu verwandeln.«
»In welchem Verhältnis standen Sie zu ihr?«
»Ich habe sie größer und farbiger als das Leben gemalt. Die großen Gemälde stammen von mir.« Dillinger schwenkte einen Arm in einer besitzergreifenden Geste. »Sonst ist nichts zwischen uns gewesen. Keine heißblütige Sexaffäre, fürchte ich. Sie hat mir nicht mal einen runtergeholt. Außerhalb des Studios waren wir wie Öl und Wasser.« Er lächelte Julia zu, als wollte er sie beruhigen. Sie sah nicht gerade beruhigt aus.
»Haben Sie Amanda gestern Abend gesehen?«
»Ja. Sie war eine Weile auf meiner Geburtstagsparty und ist dann mit ein paar Leuten verschwunden.«
»Erinnern Sie sich an die Leute?«
»Ein paar Typen, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Sie müssen sich irgendwie reingeschlichen haben. Aber da waren sie nicht die Einzigen.
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