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Die Tote von San Miguel

Die Tote von San Miguel

Titel: Die Tote von San Miguel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Woods
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Kontrolle brachte.
    Diaz wich Consuelas Lippen aus, verteilte stattdessen Luftküsse über ihre Wangen und wünschte ihr eine sichere Heimfahrt nach Mexico City. Er hatte ihr vorsorglich die Hände auf die Schultern gelegt, um einen schicklichen Abstand zu ihrem verheißungsvollen Körper gewährleisten zu können. Leo war gerade dabei, mit unsicheren Schritten die Treppe des Cafés zu erklimmen. Diaz nickte ihm kurz zu, als er an ihm vorbeieilte.
    Bass Smallwood und Armando aufzuspüren, indem er einfach aufs Geratewohl durch die Straßen irrte, erschien ihm bestenfalls sehr blauäugig. Schlimmstenfalls als absolute Zeitverschwendung. Und Armando ging einfach nicht an sein gottverdammtes Mobiltelefon! Eine besser organisierte Suche war vonnöten. Diaz machte sich unverzüglich auf den Rückweg zur Zentrale der Judiciales .
    Als er das Revier betrat, sprang Armando hinter seinem Schreibtisch auf, wobei er den Kriminalcomic zu Boden fallen ließ, in dem er gelesen hatte. Er wirkte zerknirscht und ängstlich. Wie ein Welpe, der dabei ertappt worden war, auf den Teppich zu pinkeln. Bevor Diaz irgendeinen offiziellenKommentar zu dem Vorfall abgeben konnte, sprudelte der Sergeant seine Erklärung hervor.
    »Smallwood ist einfach ohne jede Vorwarnung aufgestanden, über die Brüstung gesprungen und in der Menge untergetaucht. Er war schon verschwunden, bevor ich auch nur mein Glas abstellen konnte. Ich …«
    »Du meinst, bevor du deinen Arsch hochgekriegt hast. Du hast Scheiße gebaut, Armando. Warum hast du mich nicht wenigstens angerufen?«
    Roberto Ortiz und García Sanchez, die hinter Armando aufgetaucht waren, schoben sich langsam zur Seite und schätzten ihre Chancen ab, sich unbemerkt durch den Flur zur Unisextoilette durchschlagen zu können. Den Zusatz »Unisex« trug die Toilette seit Felicias Ankunft im Revier.
    Armandos walnussfarbenes Gesicht nahm einen rötlichen Farbton an. Seine Stimme schwankte leicht. »Der Akku war tot. Ich habe gestern Abend vergessen, ihn wieder aufzuladen.«
    Diaz bemerkte Robertos und Garcías klammheimlichen Versuch, sich im Zeitlupentempo abzusetzen.
    »Amigos.« Seine langen schlanken Finger bohrten sich in Garcías Schulter. »Meinen herzlichen Glückwunsch! Ihr drei seid hiermit für diesen Tag –  oder zumindest für das, was noch davon übrig ist – dazu eingeteilt, Bass Smallwood aufzuspüren, der zweifellos völlig besoffen in irgendeiner kakerlakenverseuchten taberna herumliegt. Ich erwarte stündliche Rückmeldungen über eure Fortschritte, ganz egal, ob ich ans Telefon gehe oder nicht. Und fasst euch kurz!«
    Nachdem die drei Polizisten verschwunden waren, war das Revier so verwaist wie ein Puff an einem Sonntagmorgen. Der Wachposten mit der Maschinenpistole hatte schon längst Feierabend. Die Deckenlampen warfen ihr Licht aufleere Schreibtische und erloschene Computermonitore. Diaz fragte sich, ob es tatsächlich irgendjemand wagen würde, die Computer der Judiciales zu klauen, wenn sie nicht bewacht wurden. Er kam zu dem Schluss, dass in diesem dunklen Zeitalter nichts unmöglich war, wie abstoßend es ihm auch erscheinen mochte. Um Strom zu sparen, aber auch, um seine durch Schlafmangel tränenden und brennenden Augen zu schonen, schaltete er das Licht aus, lehnte sich in der Dunkelheit seines Büros zurück und rauchte. Seine Füße schmerzten, und sein Schädel pochte. Langsam fielen ihm die Augen zu.
    Ein Geräusch ließ ihn wieder hochschrecken. Der Rest seiner Zigarette qualmte noch immer zwischen seinen Fingern. Was hatte ihn aus dem kurzen Halbschlaf gerissen? Seine Augen versuchten, die ineinander übergehenden Schatten zu durchdringen, so wie sich der blinde Pew die mit Furchen durchzogene Straße zu seinem Tod entlanggetastet hatte.
    Irgendjemand stand in der Tür zu seinem Büro! Eine Silhouette, die es eigentlich gar nicht hätte geben dürfen  – schwarz auf schwarz. Diaz tastete nach der unter der Platte seines Schreibtischs befestigten stubsnasigen Pistole Kaliber .25.
    »Wer, verdammte Scheiße, ist da?«, fragte er.
    Er hatte die Frage kaum ausgesprochen, als die Deckenbeleuchtung aufflackerte. Ein Mann in olivgrauer kubanisch anmutender Arbeitskleidung, der Diaz mit einem amüsierten Gesichtsausdruck musterte, wurde in der Tür sichtbar. Seine Augen wirkten so undurchsichtig und rätselhaft wie die verborgenen Zuflüsse einer heiligen cenote der Mayas in Yucatán. Hohle Wangen. Ein lippenloser Mund, wie dafür geschaffen, das Letzte Gericht

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