Die Tote von Schoenbrunn
Batheny.
Vera hatte mittlerweile das Zimmer verlassen, um sich auf die Suche nach Josefa zu begeben.
Nach dem zweiten Cognac tauten beide Herren etwas auf. Die ersten beiden Gläser hatten sie wortlos hinuntergestürzt. Ansonsten hatten sie nur Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht, über das herrliche Herbstwetter geplaudert und vermieden, sich in die Augen zu sehen, die einander so ähnlich waren.
Vera kehrte nicht mehr zu ihnen zurück.
11
Graf Batheny schilderte Gustav den vermeintlichen Überfall auf seine Tochter und teilte ihm seine Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Version mit. Zuletzt bat er ihn, nicht nur diesen Vorfall aufzuklären, sondern auch mehr über den mysteriösen Todesfall in Schönbrunn in Erfahrung zu bringen.
„Ich habe gehört, es soll sich um Mord handeln? Keiner weiß Genaueres, nicht einmal der Gatte der Verstorbenen. Der arme Reichenbach ist vollkommen am Boden zerstört. Ich hab ihm vorgestern persönlich kondoliert.“
„Wie stellen Sie sich das vor? Ich kann unmöglich einfach so in Schloss Schönbrunn Nachforschungen betreiben.“
„Selbstverständlich können Sie das! Ich habe die Ehre, bei Hofe zu verkehren, und werde für Sie den Zugang zum Schloss erwirken. Es mag vielleicht ein paar Tage dauern, aber der Obersthofmeister des Kaisers ist ein guter Freund von mir. Und meine Tochter Marie Luise gehört seit einiger Zeit zum Hofstaat der Kaiserin. Sie durfte Ihre Majestät sogar manchmal auf ihren Reisen begleiten. Die kaiserlichen Gemächer werden Sie nicht betreten dürfen, aber zumindest sollten Sie die Gelegenheit bekommen, sich in den Nebenräumen frei zu bewegen und die Dienerschaft zu befragen. Diese guten Geister bekommen oft viel mehr vom höfischen Leben mit, als den allerhöchsten Herrschaften lieb ist.“
Gustav, der sich für einen überzeugten Liberalen und Republikaner hielt, bemühte sich, seinem Vater nicht zu zeigen, wie beeindruckt er von seinem Einfluss bei Hofe war.
Der Graf nahm eine Havanna aus seiner Zigarrentasche, führte sie unter seiner Nase entlang, leckte über das Ende und zündete sie mit Sorgfalt an. Gustav begnügte sich mit einem Zigarillo. Sie tranken ein weiteres Gläschen Cognac und plauderten den Rest des Nachmittags völlig zwanglos miteinander, sprachen über das letzte Rennen der Saison in der Freudenau.
Graf Batheny teilte Gustavs Leidenschaft für den Pferdesport und war als Mitglied des berühmten Jockeyclubs über alle Rennen und die Vorgänge hinter den Kulissen bestens informiert.
Gustav hatte in jungen Jahren viel Geld in den Wettbüros an der Pferderennbahn gelassen.
Vorsichtig erkundigte sich der Graf, ob er nach wie vor wetten würde.
Gustav reagierte verstimmt, so als hätte er eine Rüge einstecken müssen, denn er wusste, dass Graf Batheny seinerzeit einen Großteil seiner Wettschulden beglichen hatte. Schließlich siegte sein Humor: „Euer Erlaucht haben nichts mehr zu befürchten, ich habe die Pferdewetten gänzlich aufgegeben. Aber ich bin Ihnen sehr verbunden, weil Sie mich vor dem Schuldturm bewahrt haben“, sagte er.
Und nun geschah etwas, womit Gustav nicht im Leben gerechnet hatte. In den schönen dunklen Augen des Grafen erschienen Tränen. Rasch fächelte dieser sich mit seinem Taschentuch Luft zu, tat so, als wäre ihm Rauch in die Augen gekommen.
„Ich habe nur meine Schuld beglichen. Hätten wir damals Kontakt zueinander gehabt, ich hätte von vornherein verhindert, dass Sie auf die falschen Pferde setzen.“
„Die Rennen waren also eine abgekartete Sache“, murmelte Gustav. Gerührt und gleichzeitig peinlich berührt von den Tränen seines Vaters wechselte er das Thema. „Ich werde die Bekanntschaft Ihres Fräulein Tochter machen müssen, denn ohne ihre persönliche Schilderung der Ereignisse kann ich nicht viel ausrichten.“
„Selbstverständlich. Ich habe alles in die Wege geleitet. Hätten Sie am Sonntag Zeit für ein einfaches Abendessen bei uns?“ Die Stimme des Grafen senkte sich: „Nur en famille …“
Gustav war die Zweideutigkeit der letzten Worte nicht entgangen.
„Wegen des Todes Ihrer Majestät sind ja leider keine größeren Soupers möglich. Aber gegen ein kleines Diner im engsten Familienkreis gibt es sicher nichts einzuwenden. Sie, meine Töchter, ja auch meine Älteste und ihre Familie sind für das Begräbnis aus Bad Ischl angereist und bleiben noch einige Tage in Wien, ebenso Erzherzog Karl Konstantin, der Verlobte von Marie Luise. Ich beschäftige seit kurzem
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