Die Tote von Schoenbrunn
Unwesen.“
Gustav überlegte, ob er Karl Konstantin sagen sollte, dass sein Vater ihn unlängst mit der Suche nach diesem Frauenmörder beauftragt hatte. Außerdem hätte er seinen neuen Freund gern darauf hingewiesen, welchen Unsinn er redete. Der Mörder, den die Beamten von Scotland Yard „Jack the Ripper“ getauft hatten, weil sie bis heute seine Identität nicht kannten, hatte in London Prostituierte und Damen der Halbwelt umgebracht und keine adeligen Ladys. Er fühlte sich zu schwach, um sich mit dem Erzherzog auf eine ernsthafte Diskussion einzulassen.
„Komm jetzt endlich, ich will eine Revanche“, quengelte Karl Konstantin wie ein Kleinkind.
Der Erzherzog war daran gewöhnt, dass seine Wünsche stante pede erfüllt wurden. Gustav riss sich zusammen. Sie spielten eine dritte Partie. Doch Gustav war unkonzentriert, seine Hände zitterten bei jedem Stoß. Hätte er zuletzt nicht eine der saubersten Kombinationen gespielt und seinem Ball einen besonderen Effet verliehen, er hätte womöglich verloren. So gewann er auch die dritte Partie mit knappem Punktevorsprung.
Karl Konstantin wirkte äußerst zufrieden.
„Jetzt hätte ich den Großmeister fast geschlagen“, sagte er lachend und bestellte eine Flasche Weißwein.
Gustav nippte nur an seinem Glas und orderte einen Großen Braunen.
„Ich würde zu gern mehr über diesen neuen Mord erfahren“, sagte er.
Karl Konstantin gab dem Ober einen Wink. Als er sogleich an ihren Tisch geeilt kam, forderte er ihn auf: „Erzählen Sie uns, Herr Franz, was da heute wieder Schlimmes passiert ist.“
Franz wiederholte, dass eine junge bayerische Verwandte der Kaiserin im Bett Ihrer Majestät in der Hermesvilla im Lainzer Tiergarten mit durchgeschnittener Kehle aufgefunden worden sei.
„Und wer war diese Verwandte? Wie hieß sie? Was hatte sie im ‚Schloss der Träume‘ unserer Kaiserin zu suchen?“
„Das weiß ich nicht, Kaiserliche Hoheit. Angeblich war sie zum Begräbnis angereist und auf Einladung von Erzherzogin Marie Valerie geblieben. Allerdings hatte sie Räumlichkeiten in Schönbrunn bezogen und nicht in der Hermesvilla. Es ist bisher allen ein Rätsel, wie sie dorthin gekommen ist.“
„Danke, Franz.“ Karl Konstantin gab dem Ober ein fürstliches Trinkgeld.
„Ergebensten Dank, Kaiserliche Hoheit.“
„Möchtest du den Tatort sehen, Gustl?“
„Die Polizei lässt uns dort sicher nicht rein.“
„Ich habe überall Zutritt.“
Sie ließen die halbvolle Flasche Wein stehen und fuhren in Karl Konstantins Sechsspänner hinaus nach Lainz.
Gustav fragte sich während der gesamten Fahrt, wie die Großnichte der Kaiserin in die Villa gekommen war. Soviel er wusste, war das Jagdschlösschen bereits winterfest gemacht worden.
Der Erzherzog konnte anscheinend Gedanken lesen.
„Anna Clara war eine begeisterte Reiterin, so wie ihr großes Vorbild, die Kaiserin. Vielleicht wurde sie bei einem Ausritt von der Dunkelheit überrascht und hat Zuflucht im Jagdschloss gesucht.“
„Wie ist sie ohne Schlüssel hineingekommen? Dort draußen ist jetzt keine Menschenseele.“
„Frag mich etwas Einfacheres. Die Prinzessin war eine kleine Wilde, vielleicht ist sie durchs Kellerfenster rein.“
„Du hast sie gekannt?“
„Nicht näher. Ich habe sie einmal bei einer Gesellschaft in leicht angetrunkenem Zustand erlebt. Fast hätte sie auf dem Tisch getanzt.“
15
Das Jagdhaus befand sich im östlichen Teil des kaiserlichen Jagdgebietes im Lainzer Tiergarten und war nach der im Garten stehenden Statue „Hermes als Wächter“ benannt worden. Kaiser Franz Joseph hatte das Schlösschen 1884 seiner Frau zum Geschenk gemacht. Wie die Gerüchteküche zu vermelden wusste, würde es jetzt ihre jüngste Tochter Erzherzogin Marie Valerie erben.
Die verstorbene Kaiserin hatte sich nie lange in dem dunklen Gemäuer, das von keinem Geringeren als dem Ringstraßen-Architekten Carl von Hasenauer erbaut worden war, aufgehalten, obwohl ihr Gatte gehofft hatte, sie würde sich dort wohler fühlen als in der Hofburg und in Schönbrunn. Sie aber hatte lieber ihre ausgedehnten Reisen, damals vor allem in den Süden Europas, fortgesetzt. Seit dem Tod ihres Sohnes war sie nur mehr höchst selten in Wien gewesen.
Obwohl die Polizei das ganze Gelände abgesperrt hatte und in der Villa auf Spurensuche war, ließ man den Erzherzog und seinen Begleiter anstandslos passieren.
Über einen pompösen Stiegenaufgang gelangten sie zu den kaiserlichen Privatgemächern im
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