Die Tote von Schoenbrunn
hatte er ihn besiegt. Er war sich hundertprozentig sicher, auch diese Partie zu gewinnen, was den Tod des Erzherzogs bedeuten würde.
„Wenn Kaiserliche Hoheit verlieren, dann wissen Kaiserliche Hoheit, was Kaiserliche Hoheit zu tun haben!“
„Sehr amüsant, Herr von Karoly. Worin besteht denn Ihr Einsatz, wenn ich fragen darf?“
„Sollte ich verlieren, werde ich ewig schweigen – unter der Bedingung, dass das Morden ein Ende hat.“
„Nennen Sie das Fairplay?“ Der Erzherzog zog seine dichten rötlichen Brauen hoch und bedachte Gustav mit einem verächtlichen Blick. „Sie beleidigen meine Intelligenz.“
„Ich gebe Ihnen einen Punktevorsprung.“
„Halten Sie mich für einen kompletten Dummkopf? Selbst ein Punktevorsprung würde mir nichts nützen. Leute wie Sie hatten offensichtlich jahrelang nichts anderes zu tun, als Billard zu spielen.“
„Wir spielen eine offene Partie auf hundert Punkte. Ich gebe Ihnen siebzig Punkte vor.“
Gustav bemerkte ein kurzes Aufblitzen von Interesse in Karl Konstantins Augen.
„Das scheint mir mehr als ein faires Angebot zu sein, das grenzt schon an Hasardieren“, legte Gustav noch ein Schäuflein nach.
„Vorgabe siebzig Punkte bei einer offenen Partie auf hundert? – Ich nehme an!“
Gustav war bemüht, sich seine Genugtuung nicht anmerken zu lassen. Obwohl er wusste, dass es keine leichte Partie werden würde, denn für einen Laien spielte der Erzherzog gar nicht schlecht. Bei ihrem letzten Spiel im Dommayer war Gustav sogar fast in die Bredouille geraten, weil ihn die Nachricht von der Ermordung der Großnichte der Kaiserin abgelenkt hatte. Aber dieses Mal würde der Erzherzog trotz des enormen Punktevorsprungs keine Chance gegen ihn haben. Er wusste nicht, wie gut Gustav tatsächlich spielte. Dieser hatte ihn bei ihren ersten beiden Partien, die er zwar überlegen gewonnen hatte, geschont, er hatte es sich mit ihm nicht verderben wollen. So stolz war er auf seine Freundschaft mit einem Mitglied des Kaiserhauses gewesen. Heute schämte er sich für seine Gefühle in Grund und Boden.
Der Erzherzog befahl dem Ober, Ihnen das Billardzimmer für ein, zwei Stunden zur Verfügung zu stellen.
„Wir möchten nicht gestört werden“, fügte er hinzu.
Mit tausend Entschuldigungen und unzähligen Bücklingen schaffte es der routinierte Oberkellner schließlich, die murrenden Spieler hinauszukomplimentieren. Als der Besitzer des Casinos herbeieilte, überließ es Gustav dem Erzherzog, diesen über ihr Vorhaben aufzuklären.
Gustav hatte unter den vertriebenen Spielern einen Bekannten aus seiner Zeit beim Militär entdeckt. Mit dem Freiherrn von Klausenburg, kurz Klausi genannt, hatte er damals so manche Nacht beim Kartenspiel und auch am Billardtisch verbracht. Er war ein patenter Kerl, weilte aber höchst selten in Wien und hatte daher mit der ganzen Wiener Mischpoche, wie Dorothea oft zu sagen pflegte, nicht viel zu tun.
Nach kurzer freundlicher Begrüßung erklärte er seinem ehemaligen Kameraden in knappen Worten, dass es sich um eine Partie auf Leben und Tod handle, und bat ihn, ihm als Zeuge zu dienen.
Klausi staunte nicht schlecht, erklärte sich aber sofort bereit: „Ein Duell am Billardtisch, so was habe ich noch nie erlebt!“ Er schien sich richtiggehend darauf zu freuen.
„Frauengeschichte?“, flüsterte er Gustav ins Ohr.
„Im weitesten Sinne … ja, könnte man sagen.“
„Wo bleibt der Marqueur?“ Der Erzherzog wirkte ungehalten.
Mit Befriedigung registrierte Gustav dieses erste Anzeichen von Nervosität.
„Wer wird Euer Zeuge sein, Kaiserliche Hoheit?“, fragte Gustav.
„Brauch keinen.“
„Oh doch. Bei einem Duell muss alles seine Richtigkeit haben.“
„Dann bleiben Sie da!“ Karl Konstantin deutete auf den Casinobesitzer.
Der gute Mann wurde bleich im Gesicht. Es war ihm anzumerken, dass er lieber das Weite gesucht hätte.
„Eine Flasche Champagner für die Herrschaften?“, fragte der Oberkellner.
Nach ein paar Minuten kam er mit einem Tablett mit vier Gläsern und einer Flasche Champagner zurück, im Schlepptau hatte er den Marqueur. Gustav informierte den Mann über ihre Vereinbarung.
„Siebzig Punkte?“ Der Marqueur sah ihn ungläubig an, hielt aber die Vorgabe dann schriftlich fest.
Gustav überließ dem Erzherzog die Wahl seines Spielballes. Karl Konstantin nahm den weißen, überließ Gustav den gelben. Der Marqueur reichte ihnen einige Queues zur Auswahl. Gustav prüfte alle eingehend, bevor er sich
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