Die Tote
in ein kleines, aber gemütliches Wohnzimmer, das von einem überdimensionalen Flachbildschirm dominiert wurde.
»Der gehört dem Freund von meiner Mutter«, erklärte Natascha, und verzog dabei den Mund, »der guckt immer Fußball.«
»Okay.«
Charlotte nahm mit Bremer auf dem engen Zweisitzer Platz, während sich Natascha in einen Freischwingersessel fallen ließ, der so heftig wippte, dass Charlotte Angst hatte, er würde zerbrechen. Bremer dachte wohl ähnlich, denn er hatte automatisch die Arme ausgestreckt. Wohl um eine Bruchlandung zu verhindern. Aber der Sessel schien an diese Behandlung gewöhnt zu sein und wippte unbeeindruckt weiter.
»Also«, begann Natascha, nahm ihr Handy aus der Tasche ihres grünen Sweatshirts und begann darauf herumzutippen. »Als ich zum Hauptbahnhof reinwollte, stand sie am Denkmal von diesem Typen …«
»Sie meinen das Ernst-August-Denkmal.«
»Genau, also da stand sie.«
»Um welche Uhrzeit war das?«, fragte Charlotte.
»Weiß nich, muss irgendwann nach zwölf gewesen sein.« Das Mädchen drückte ununterbrochen auf ihrer Tastatur herum.
»Ist Ihnen irgendwas aufgefallen? Haben Sie eine Ahnung, wo die Frau hinwollte?«
Natascha zuckte mit den Schultern ohne den Blick von ihrem Handy zu nehmen. »Keine Ahnung, sie ist mir bloß aufgefallen, weil sie mit diesem komischen Outfit unterwegs war.« Tickticketick.
Charlotte warf Bremer einen Blick zu, aber der wusste wohl auch nicht, wie man die Aufmerksamkeit der jungen Dame von dem Handy ablenken konnte.
»Welchen Eindruck hat sie auf Sie gemacht?«, versuchte es Charlotte erneut.
»Wieso Eindruck?«, meinte Natascha. Tickticketick.
Charlotte stand auf und nahm der jungen Frau das Handy weg. »War sie ängstlich oder eher apathisch?«
Natascha wollte zunächst protestieren, überlegte es sich aber anders. »Äh, ich glaube, sie hat ziemlich gefroren. Is ja auch kein Wunder, wenn man so rumläuft. Aber’n bisschen hat sie mir schon leidgetan.« Das Mädchen starrte versonnen auf den dunkelgrauen Teppichboden. »Wie ist sie denn eigentlich gestorben? Etwa erfroren?«
Jetzt, wo das Handy sie nicht mehr ablenkte, schien Natascha ihr Mitgefühl für die Tote zu entdecken.
»Das wissen wir nicht genau«, antwortete Charlotte.
Bremer räusperte sich. »War jemand bei ihr? Oder haben Sie jemanden gesehen, der eventuell hinter ihr her war?«
Natascha blickte Bremer an, als sehe sie ihn soeben zum ersten Mal, und schüttelte dann sachte den Kopf.
»Nö, sie war allein. Ich hab jedenfalls keinen bei ihr gesehen, ist um die Zeit sowieso ziemlich leer am Bahnhof. Sie war in ihr blödes Tuch eingewickelt und lehnte einfach am Denkmal, das war alles. Ich hab auch nicht weiter drauf geachtet, wollte bloß nach Hause, bevor meine Mutter merkt, dass ich weg war.«
»Und Sie sind dann in den Bahnhof, und die Frau stand immer noch am Denkmal?«
»Soweit ich weiß, ja.« Ein mitleidiger Blick traf Bremer. »Aber was sie gemacht hat, als ich weg war, konnte ich ja wohl nicht mehr sehen, oder?«
Charlotte stand auf. »Ich geb Ihnen mal meine Karte. Wenn Ihnen noch irgendwas einfällt, dann rufen Sie mich bitte an.« Damit reichte sie dem jungen Mädchen Karte und Handy und gab Bremer ein Zeichen.
Natascha nickte zweifelnd. »Was soll mir denn noch einfallen? Aber von mir aus, Hauptsache, Sie halten meine Mutter da raus.«
»Ich sehe keinen Grund, warum wir Ihre Mutter da mitreinziehen müssten«, sagte Charlotte lächelnd und reichte Natascha die Hand. »Danke, dass Sie angerufen haben.«
Die junge Frau errötete vor Freude.
»Ja … klar«, antwortete sie strahlend und vergaß sogar für einen Moment ihr Handy.
»Was hältst du davon?«, fragte Charlotte, als sie wieder im Auto saßen.
Bremer kratzte sich am Kopf.
»Tja«, meinte er dann, »ich glaub nicht, dass sie uns ein Märchen aufgetischt hat.«
»Ich auch nicht, aber ich frage mich, wieso sich sonst kein Mensch meldet. Die müssen doch mehrere Leute gesehen haben.«
Bremer seufzte. »Das alte Lied, keiner will was mit der Polizei zu tun haben. Aber, vielleicht kommt ja noch was.«
Das tat es wenig später in Form einer aufgelösten Frau in den Vierzigern. Sie tauchte gegen fünf Uhr mit einem Uniformierten in der Direktion auf, wedelte hysterisch mit einem roten Schal herum und ergriff den erstbesten Beamten, in diesem Fall war es Martin Hohstedt, bei den Schultern und schüttelte ihn.
»Sie müssen sie suchen! Hören Sie? Sie haben doch Hunde und so was!«
Der
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