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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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denken. Aber hier, mitten in der Einsamkeit, in derder stärkste aller Instinkte durch die Entbehrung noch gereizt wurde, hatte ihn eine sinnlose Leidenschaft erfaßt, als er Margalida strahlend inmitten aller dieser Mädchen und Frauen sah, deren vulgäre, braune Gesichter ihr rosiges Antlitz noch mehr zur Geltung brachten.
    Er mußte fort. Auf der Insel war kein Raum für ihn. Möglich, daß ihn sein Pessimismus täuschte über die Art des Gefühls, das er für Margalida hegte. Vielleicht trieb ihn nicht nur ein Begehren, sondern wahre Liebe, die erste echte Liebe seines Lebens. Und fast war er dessen gewiß. Aber auch dann blieb ihm jetzt nichts übrig, als zu vergessen und zu fliehen, möglichst bald zu fliehen.
    Warum auf der Insel bleiben? Welche Hoffnung hielt ihn noch? ... Margalida wich vor ihm zurück, versteckte sich und weinte. Aber Tränen waren keine Antwort auf seine Fragen.
    Ihr Vater, der noch einen Rest der alten Verehrung bewahrte, duldete bis jetzt noch schweigend diese Laune des großen Herrn, konnte sich aber von einem Moment zum andern gegen den Mann wenden, der Verwirrung in sein und seiner Familie Leben brachte.
    Die Insel selbst schien sich gegen den Fremden, der in ihr patriarchalisches Dasein und ihre ehrwürdigen Gewohnheiten einbrach, mit demselben wilden Stolze zu erheben, wie in früheren Jahrhunderten gegen Normannen, Araber und Berber, die an ihren Küsten landeten.
    Widerstand war unmöglich. Seine Augen betrachteten zärtlich die ungeheure Meeresfläche. Hier lag der Rettungsweg, das Unbekannte, das uns in den schwierigsten Momenten des Lebens seine geheimnisvollenArme öffnet. Vielleicht würde er nach Mallorca zurückkehren, um an der Seite der Freunde, die sich seiner noch erinnerten, das Leben eines adligen Bettlers zu führen, oder auch nach Spanien gehen, um in Madrid eine Anstellung zu suchen. Vielleicht war es das beste, sich sofort nach Südamerika einzuschiffen. Je weiter fort, desto besser! Nur nicht hierbleiben! Die Feindseligkeit der Bewohner erfüllte ihn nicht mit Angst. Was er verspürte, waren Gewissensbisse über die von ihm angerichtete Verwirrung.
    Instinktiv schlugen seine Füße den Weg zum Meere ein, das für ihn jetzt die alleinige Hoffnung bedeutete. Er vermied es, an Can Mallorqui vorbeizukommen, und kletterte, am Strande angelangt, zu demselben riesenhaften Felsen empor, auf dem er in jener Sturmnacht nach langer Überlegung den Entschluß gefaßt hatte, im Hause Margalidas als Bewerber aufzutreten.
    Es war fast windstill. Auf den leuchtenden Wogen spielten goldene Lichter. Weiße Wölkchen schwammen am Himmel und malten, wenn sie vor der Sonne vorbeizogen, große Schatten auf das Wasser.
    Wie sich in unserer Erinnerung Ideen mit einem Ort verbinden und wieder auftauchen, wenn wir an ihn zurückkehren, so überkamen ihn gleiche Gedanken wie in jener Gewitternacht. Aber heute fanden sie keine befreiende Lösung, sondern kehrten, im Bewußtsein der erlittenen Niederlage, zu den alten Vorstellungen zurück, die Jaime damals überwunden glaubte.
    Er lachte bitter über seinen Optimismus, der ihn dazu geführt hatte, seine alten Auffassungen verächtlich beiseite zu werfen. Die Toten befahlen. Ihre Autorität war unbestreitbar.
    Wie konnte ihn ein verliebter Enthusiasmus nur so weit hinreißen, diese ungeheure, trostlose Wahrheit zu mißachten! Wie ließen ihn diese düsteren Tyrannen das erdrückende Gewicht ihrer Macht empfinden! Warum wurde er in diesem kleinen Winkel der Welt, seinem letzten Zufluchtsort, als Eindringling angesehen? ...
    Von den unzähligen Generationen, deren Asche und deren Seelen sich mit der Erde ihrer Heimatinsel verbunden hatten, war den Lebenden der Haß gegen den Fremden, der Widerstand gegen alles, was von draußen kam, vermacht worden.
    Als er sich über seine alten Vorurteile hinwegsetzte und sich der Frau, die diesem Boden entstammte, zu nähern versuchte, schrak sie bestürzt zurück, während ihr Vater, von knechtischem Respekt erfüllt, sich solchem unerhörten Geschehen widersetzte. Er hatte etwas Unmögliches erstrebt, die von einem verdrehten Pfaffen erträumte Vereinigung von Hahn und Möwe. Bei Gründung der menschlichen Gesellschaft wurde sie in Klassen eingeteilt, und so mußte es bleiben. Das Leben eines Mannes war kurz, um gegen den Einfluß von Millionen, die vor ihm waren, mit Erfolg zu kämpfen.
    Alle Versuche, uns von dieser Knechtschaft zu befreien und die Kette, die Jahrhunderte verbindet, zu zerreißen,

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